Von dem muthmaßlichen Erfolge einer Invasion in Indien

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Autor: Blackwoods Magazine
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Titel: Von dem muthmaßlichen Erfolge einer Invasion in Indien
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aus: Das Ausland, Nr. 20–23; 26–27 S. 77–78, 82–83, 85–86, 90–91, 103–104, 107–108.
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
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[77]

Von dem muthmaßlichen Erfolge einer Invasion in Indien.

(Blackwoods Magazine.)

Es ist in neuerer Zeit häufig die Frage aufgeworfen worden, ob es den Engländern möglich sey, ihre Besitzungen in Indien gegen die Invasion einer europäischen Macht zu vertheidigen. Napoleons Aeußerungen über diesen Gegenstand verrathen eine zu große Unkenntniß der natürlichen Hindernisse, die sich einem solchen Unternehmen entgegenstellen würden, als daß man im Ernste glauben könnte, er habe selbst einen Plan der Art in Ausführung bringen wollen. Er mochte die Eroberung von Indien vielleicht als eine Unternehmung betrachten, die seiner würdig wäre, aber er sah sie doch wohl mehr wie ein Problem, das zu lösen, als wie ein Project an, das auszuführen sey. Wenn er daher in seinen letzten Tagen behauptete, es sey für Rußland ein leichtes, Indien zu erobern, so scheint dies mehr ein Ausbruch seiner üblen Laune gewesen zu seyn, als das Resultat reiflicher Erwägung. Indessen haben sich doch viele Männer von Einsicht durch die Autorität des großen Feldherrn bestimmen lassen: und jene Aeußerung ist dadurch nicht ohne Einfluß selbst auf die betheiligten Regierungen geblieben. Jeder Unbefangene aber, der die Sache genauer erwägt, und die nöthigen Localkenntnisse besitzt, wird die Unausführbarkeit eines solchen Eroberungsplans zugeben müssen.

Die Frage gewinnt fast täglich an Interesse und an Wichtigkeit; und wir haben uns dadurch aufgefordert gefühlt, die Puncte etwas näher zu beleuchten, von welchen die Beantwortung derselben abhängt.

Wir haben kaum nöthig, erst auszusprechen, daß Rußland in gegenwärtiger Zeit die einzige europäische Macht ist, die möglicher Weise diese Invasion unternehmen könnte. Es ist das einzige Land, welches unmittelbar an jene asiatischen Völker grenzt, deren Entlegenheit vom Mittelpuncte des großen Völkerlebens sie so sehr in die Gewalt des mächtigen Nachbaren gegeben hat, daß sich die übrigen europäischen Staaten kaum noch darum bekümmern, ob hier die Grenzen um ein hundert Meilen verrückt werden oder nicht. Rußland ist das einzige Land, welches einen fortdauernden Einfluß oder eine Art Aufsicht über die Länder übt, die auf dem Wege nach Indien liegen, und welches sein Gebiet nach dieser Seite hin erweitern kann. Andere europäische Mächte mögen durch Bündnisse mit Fürsten des innern Asiens ein gewisses Ansehen an ihren Höfen erlangen, aber nur Rußland kann ihnen die Größe seiner Macht in der Nähe zeigen, mit Nachdruck drohen, und, wenn es noth thut, den Gehorsam mit Gewalt erzwingen. Wir[WS 1] wollen daher hier blos untersuchen, in wiefern diese große Macht auf einen glücklichen Erfolg eines Einfalles in Indien rechnen könnte, und somit alle unnützen Discussionen über die noch viel weniger ausführbaren Pläne anderer Mächte abschneiden.

Mannigfaltig sind die Gründe, die Rußland bestimmen müssen, seine Macht in Asien immer weiter auszudehnen; doch ist vielleicht, neben der natürlichen Vergrößerungssucht jedes Staates, einer der wichtigsten, daß Rußland, wenn es in Ostindien mit England concurrirte, hierdurch die Controlle aufheben würde, welche Großbritannien jetzt über den russischen Handel ausübt. Als bloße Landmacht hat Rußland keinen andern Punkt, an welchem es England angreifen könnte, und kein Theil des brittischen Reichs ist wohl zugleich so verwundbar, und verspricht einem angreifenden Feinde größere Vortheile, als die ausgedehnten englischen Besitzungen in Ostindien. Es gehörte daher wahrlich große Selbstverläugnung von Seiten des Petersburger Cabinets dazu, wenn es sein bisherigen System, sich in Asien zu vergrößern, aufgeben wollte, so lange sich der Verfolgung desselben keine größern Hindernisse in den Weg stellen, als bis jetzt. Wenn aber Rußland der Meinung ist, daß es schon in seiner jetzigen Lage eine Invasion in Indien unternehmen könnte, wenn es glaubt, daß es, ohne das langsame Resultat einer allmähligen Grenzerweiterung abzuwarten, gleichsam durch einen coup-de-main Indien nur erobern dürfte – wie dies von mehr als einer hohen Militärperson ausgesprochen worden ist – so müssen wir bekennen, daß wir dieser Ansicht auf keine Weise beipflichten können.[1]

Alle Pläne zur Eroberung Indiens scheinen auf die Voraussetzung gebaut zu seyn, daß, da asiatische Heerführer große Armeen nach Indien geführt, ja einige derselben [78] wirklich einen Theil von Indien erobert haben, – deshalb auch dem Marsch einer europäischen Armee keine unüberwindlichen Hindernisse im Wege stehen könnten. Aber dieß Raisonnement ist falsch, so annehmlich es auch auf den ersten Anblick scheinen mag. Denn zuförderst ist keine europäische Macht geographisch so gelegen, wie alle die Völkerschaften waren, die einen glücklichen Einfall in Indien machten. Diese besaßen nämlich sämmtlich einige von den Landschaften am Fuße des Paropamisus, hatten sich schon alle benachbarten Länder zuvor unterworfen, den Ruf ihrer Thaten vor sich her gesandt, und sich so den Weg nach Indien gebahnt. Immer ging ihre Unternehmung von einem Lande aus, welches nur durch eine einzige Schutzmauer von Indien getrennt war, und wohin sie sich wieder zurückziehen konnten, im Fall sie die Schwierigkeiten, die ihnen entgegenstanden, nicht gleich beim ersten Angriff überwanden. Dahingegen würde Rußland jetzt mehr als ein großes Reich zu durchziehen, und mehr als ein Bollwerk, welches die Natur ihm entgegenstellt, zu durchbrechen haben, ehe es nur auf den Standpuncte gelangte, von wo aus die asiatischen Eroberer ihren Marsch antraten.

Indien war ferner zu jener Zeit von schwachen Fürsten beherrscht, die wegen der feindseligen Stellung, die sie selbst sowohl als ihre Völkerschaften stets gegen einander annahmen, nie dahin gebracht werden konnten, gemeinschaftlich zur Vertheidigung ihres Vaterlandes zu wirken. Die Minister begünstigten sogar häufig den Feind, und die Einnahme der Hauptstadt entschied den Kampf, und vollendete die sogenannte Eroberung des Landes. Auch waren die Truppen der Eroberer für die damalige Zeit die geeignetsten zu einem Kriege in diesen Ländern. Eine leichte Cavallerie, die ungeheure Märsche machen konnte,[2] allenthalben erschien, ehe man ihre Nähe ahnte, sich ihre Provisionen zusammenholte, wo sie sie finden konnte, und Vorrath für mehrere Tage auf dem Pferde mit sich führte, mußte natürlich ganz andere Erfolge bewirken, als von einer Armee, die größtentheil aus Infanterie bestände, zu erwarten wäre. Endlich bestanden die angreifenden Armeen immer aus Truppen, die den einheimischen bei weitem überlegen waren, und wurden von Feldherrn angeführt, die schon vorher ihr militärisches Talent gezeigt, und durch lange Erfahrung gebildet hatten.[3] Und doch waren nur wenige von ihnen im Stande die bedeutendsten der indischen Throne umzustürzen, und von wie vielen mag man sagen können, daß sie Indien erobert haben?

[82] Vergleichen wir jetzt die Art, wie asiatische Horden die Länder durchstreifen, mit dem geordneten Marsch einer europäischen Armee. Bei jenen muß jeder Einzelne für sich selbst sorgen, und darf auch dreist auf seine eignen Hülfsquellen vertrauen. Findet er das, was er bedarf, im Bereich einer Meile vom Lager, so kehrt er wieder dahin zurück; findet er es nicht, so geht er weiter. Kann er auf keine andere Weise etwas erhalten, so gebraucht er Gewalt oder List. Einzelne Stämme vereinigen sich, um sich gegenseitig zu unterstützen, und ihre Bewegungen sind so schnell, daß das Landvolk ihnen nicht entfliehen, und ihrer vereinigten Macht nicht widerstehen kann. Jeder Soldat fourragirt, die Bagage ist leicht zu transportiren, und sollte man sie auch im Stiche lassen müssen, so wird der Wirksamkeit des Heeres doch wenig dadurch benommen. Mundvorrath wird aus entfernten Gegenden zusammengeholt, und das Volk ist gewohnt sich mit Wenigem zu begnügen. Sonst hat das Heer fast gar keine Bedürfnisse, und die wenigen, die es hat, sind von der Art, daß sie sich in den Ländern, durch welche der Zug geht, immer herbeischaffen lassen. Der Abgang, den das Heer erleidet, wird hie und da durch Rekrutirung bei den Stämmen, durch deren Land man zieht, ersetzt, und diese neuausgehobene Mannschaft tritt ohne weiteres sogleich in die Reihen ein. Keine Artillerie, kein Kriegsvorrath hält ihren Zug auf, denn jeder führt seine Munition hinter sich auf dem Pferde. Das Clima ist wenig oder gar nicht von demjenigen verschieden, in welchem sie zu leben gewohnt sind, und unter einem Volke, welches ähnliche Sitten und Gebräuche wie das ihrige hat, können sich die stammverwandten Krieger nicht fremd fühlen.

Bei einer geordneten europäischen Armee aber findet fast in jeder Hinsicht das gerade Gegentheil statt. Hier darf nicht ein jeder selbst suchen, was er bedarf, und es ist ihm sogar nicht einmal erlaubt, seinen Theil zu nehmen, wenn man ihn auch noch so spärlich versorgt. Einzelne Corps werden zum Fourragiren ausgeschickt, und wenn diese unbekannt mit dem Lande und den Sitten der Einwohner sind, so kann es nicht fehlen, daß sie häufig mit leerer Hand zurückkehren. Auch ist es unvermeidlich, daß auf diese Weise sehr vieles verderbt wird, ohne daß es jemanden zu Gute kommt. Ferner hat das Heer seine bestimmten Tagmärsche, welche nicht überschritten werden dürfen; die Einwohner haben daher hinreichend Zeit, alle ihre Habseligkeiten fortzuschaffen. Wenn nur 10 Meilen zwischen zwei Orten liegen, wo es Wasser gibt, dieselben also in einem Tage zurückgelegt werden müssen, so kann die Armee nur mit der größten Vorsicht durch diese unfruchtbare Steppe geführt werden; man muß einige Tage vorher halt machen, um alles gehörig vorzubereiten, und nachher wieder einige Tage liegen bleiben, damit das Heer sich wieder erhole. Stößt man aber auf einen wasserlosen Strich von 20 Meilen, so ist es ganz unmöglich denselben mit einer großen Armee zu passiren, obgleich er einer asiatischen Horde kein Hinderniß des Weiterkommens in den Weg legen würde.

Uns sind Magazine in jenen Gegenden durchaus unentbehrlich, denn von dem, was unsere Heere bedürfen, finden sie im Lande selbst nichts; mit ungeheuern Kosten und zum allergrößten Nachtheile der Kriegsoperationen muß ihnen alles nachgeführt werden. Auf einem Heereszuge gleich dem, von welchen wir reden, würde die Bagage daher vielleicht so groß werden, daß in gewissen Gegenden und unter gewissen Umständen die ganze Armee kaum im Stande wäre, dieselbe zu beschützen. Das Geschütz muß durch unwegsame, bald sandige, bald gebirgige Gegenden geführt werden; Zelte sind unentbehrlich, um die Soldaten gegen den Einfluß des Klimas zu bewahren; Anstalten müssen getroffen werden, um eine ungewöhnlich große Anzahl von Kranken zu transportiren, und dieser Transport geht durch Landstriche, wo kein Wagen fortkommen kann; neue Sprachen, neue Sitten und neue Krankheit bringen unausbleibliche Verwirrung hervor. Wer nie etwas Aehnliches gesehen hat, kann sich keine Vorstellung von den Bedürfnissen machen, welche eine europäische Armee in tropischen Climaten hat, noch kann er mit einiger Sicherheit die Kosten eines Feldzuges berechnen.

Welchen Gegensatz bilden aber zu unseren disciplinirten Armeen jene asiatischen Reiterhorden, die gewöhnlich 6 bis 7 Tage deutsche Meilen täglich zurücklegen, und in wasserarmen Gegenden 8, was gerade noch einmal so viel ist, als eine europäische Armee machen kann, wenn sie 6 bis 7 Tage nach einander marschiren soll. In Gegenden, wo keine Vorräthe zu finden sind, braucht ein asiatisches Heer also auch höchstens halb so viel, als ein europäisches, weil es sich nur die Hälfte der Zeit in denselben aufhält.

Auf der andern Seite ist es in die Augen fallend, daß die gegenwärtige Regierung Indiens, im Fall eines feindlichen Angriffes, einen Widerstand zu bieten vermöchte, wie er von keinem der einheimischen Fürsten früherer Perioden geleistet werden konnte. Es gibt jetzt keine schlechtbefestigte Hauptstadt mehr, die durch einen Ueberfall einzunehmen [83] wäre, und deren Eroberung die Auflösung der Regierung nach sich ziehen müßte; die Einnahme von Dehli wäre gegenwärtig nicht mehr die Eroberung von Indien.

Aus allen diesen Gründen wird es klar, daß sich die früheren Invasionen Indiens gar nicht mit einer jetzigen vergleichen lassen. Man würde mit demselben Rechte sagen können, die Eroberung der civilisirten Reiche Europas durch die Barbaren des Nordenes liefere einen Beweis von der Möglichkeit, daß die Nachkommen dieser letztern auch jetzt noch die westlichen Staaten umstürzen könnten. Ob das Unternehmen, wovon wir sprechen, möglich ist oder nicht, wird daher nur nach einer genauen Betrachtung der Ländeer, durch welche ein russisches Heer ziehen müßte, und nach einer reiflichen Erwägung aller Schwierigkeiten, welche demselben entgegenstünden, zu entscheiden seyn.

Es gibt drei oder vielleicht vier Wege, auf welchen ein Heer versuchen könnte, von der russischen Grenze nach Indien vorzudringen. Zwei davon gehen durch die Länder der Usbeken und Turkomanen, und die beiden andern durch Persien. Der Weg, den Fraser für den bequemsten hält, geht über Khiva nach dem Oxus, dann auf dem Flusse fort, Bochara vorbei, nach Balkh. Nur muß freilich der Paropamisus überstiegen weerden, um nach Kabul zu gelangen. Die zweite Route geht von Orenburg durch die kirgisischen Steppen nach Bochara, Balkh u. s. w. Dieseer Weg scheint indeß nach dem was russische Berichterstatter darüber sagen, kaum möglich zu seyn. Von den beiden Straßen durch Persien führt die eine nach Astrabad ans kaspische Meer, und von dort durch Khorasan nach Herat; und die andere von den Grenzen Georgiens mitten durch Persien nach Khorasan, wo sie mit dem Wege von Astrabad nach Herat zusammen trifft.

[85] Von jenen verschiedenen Wegen ist der durch Khiwa auf dem Oxus nach Kilif, und der über das kaspische Meer nach Astrabad hieher leichter zu passiren, d. h. sie bieten weniger Schwierigkeiten dar, als die andern. Sollten sich uns also schon auf diesen unüberwindliche Hindernisse in den Weg stellen, so wird es unnöthig seyn [86] mit derselben Genauigkeit zu zeigen, daß die andern beiden sich gar nicht passiren lassen.

Wir wollen zuerst die Straße genauer ins Auge fassen, welche Fraser für die bequemste hält. Von Manguschlak am kaspischen Meere nach Khiwa, der Hauptpstadt von Kharisca, sind es gering angeschlagen, drei Karavanen-Tagreisen, und von da bis an den Oxus eine. Nun ist der Oxus schiffbar bis Kilif, bei Balky, und von hier nach Kabul sind es nur noch 50 deutsche Meilen, auf einer Straße die mehrmals von Armeen passirt worden, und die jetzt viel bereist wird. Dieß scheint allerdings eben nicht sehr abschreckend zu seyn.

Zehn Tagreisen für eine Karavane ist nur eine mäßige Entfernung, und man könnte glauben, daß eine Armee diese Strecke in derselben Zeit zurücklegen könnte; dieß ist aber keineswegs der Fall. Die Karavanen reisen in diesen Wildnissen täglich 12 bis 15 Stunden, und legen daher in kurzer Zeit sehr ansehnliche Strecken zurück, was einer einigermaßen bedeutenden Armee sehr beschwerlich fallen würde. Dann ist der Wassermangel auf diesem Wege so groß, daß zahlreiche Karavanen nur im Winter, wenn Schnee liegt, durchdringen können; in dieser Zeit aber ist der Oxus gefroren, und also für den Transport des Heeres nicht zu benutzen.

Ferner haben die Ufer des Oxus wenig, oder gar kein Holz um Schiffe oder Flöße zu bauen, und eine Anzahl Schiffe vom kaspischen Meere her transportiren zu wollen, welche hinreichend wäre, um 80–100,000 Mann, mit dem nöthigen Mundvorrath, Geschütz, Bagage und Munition einzuschiffen, wäre ein Beginnen, welches selbst für Rußland zu ungeheuer wäre. Um aber die Armee selbst längs den Flüssen marschiren zu lassen, und nur die Vorräthe u. s. w. zu Wasser fortzuführen, müßte man erstlich versichert seyn, daß sich immer zu Lande hart am Flusse fortkommen ließe, und ferner, daß man vor Angriffen vom entgegengesetzen Ufer gesichert wäre. Auch ist der Fluß zu seicht, als daß die Schiffe so nahe am Ufer bleiben könnten, um fortwährend unter dem Schutze des Heeres zu seyn. Und endlich ist es noch sehr zweifelhaft, ob der Fluß allenthalben für Schiffe, die mit Geschütz und anderem schweren Geräth beladen sind, fahrbar und der Strom nicht zu stark sey. Wenn nun aber auch alle diese Bedenklichkeiten auf die günstigste Weise gehoben wären, so bleiben doch noch die größten Schwierigkeiten zu besiegen übrig.

Um eine Armee von Manguschlak nach Khiwa zu bringen, wäre eine ungeheure Menge von Kamelen oder andern Lastthieren nöthig, und diese kann man sich dort nicht ohne Beistand der Regierung Khiwa verschaffen. Ist aber wohl daran zu denken, daß diese Regierung, die Rußlands Plane mit so eifersüchtigen Augen ansieht, und die sogar schon einen treulosen Angriff von dieser Macht erfahren hat, sich ruhg einen Durchmarsch gefallen lassen, geschweige denn der Vergrößerung Rußlands noch Vorschub leisten werde? Sobald die Russen sich bei Manguschlak sehen ließen, würde die ganze Gegend in Aufruhr gerathen, alles würde, etwaige innere Zwiste vergessend, gemeinschaftliche Maßregeln für das Gesammtwohl des Staats ergreifen. Man würde die Dörfer verlassen, Weiber, Kinder und Greise zu den Zelten der Stämme, die noch nomadische Lebensart führen, in die Steppen schicken, und alles was Waffen zu tragen fähig wäre, würde in einzelnen Corps herbeieilen, dem Feinde nachziehen, und ihn von allen Seiten beunruhigen. Rußland würde also gleich zu Anfang auf einen starken Widerstand gefaßt seyn müssen, ohne selbst den Feind angreifen zu können, da das Land durchaus unzugänglich ist, außer in der Jahrszeit, wo man nicht wohl einen Feldzug unternehmen kann.

Wir kommen daher auf die natürliche Folgerung, daß Rußland Khiwa werde erobern müssen, ehe es die Invasion von Indien beginnt; und dasselbe gilt aus denselben Gründen von Bochara. Sobald aber einmal Khiwa und Bochara erobert sind (was natürlich nicht in Einem Feldzuge, vielleicht erst nach jahrelangen Kriegen geschehen kann), geht die Invasion von Indien nicht mehr von den Grenzen des jetzigen Rußlands aus, womit also die Voraussetzung unserer Frage aufgehoben wird.

Von der Straße durch Khorasan gilt im Ganzen dasselbe. Die Entfernung von der russischen Grenze bis nach Indien ist zu groß, als daß man sich auf andere Art den Rücken decken könnte, als durch die vorhergängie Unterwerfung der dazwischen liegenden Länder. Jeder Versuch durch Unterhandlungen freien Durchzug zu erlangen, würde durch die gerechten Besorgnisse der Völker und Fürsten vergeblich seyn. Aber selbst angenommen, man erhielte diese Vergünstigung, welcher Feldherr wäre dann so unvorsichtig die Communicationen mit dem Centrum seiner Hülfsmittel blos von der Treue einer Menge unruhiger und aufrührerischer asiatischer Stammhäupter abhängen zu lassen?

[90] Welchen Weg man auch wählen mag, so muß eine Armee von der russischen Grenze bis zu den brittischen Besitzungen, wenn man die unvermeidlichen Umwege einrechnet, doch wenigstens 400 geogr. Meilen machen; ohne außerordentliche Unglücksfälle und Hindernisse, erforderte der Marsch daher 8 bis 10 Monate. Während dieser ganzen Zeit hätte die Armee nicht nur mit dem Clima, mit Krankheiten, immerwährender Anstrengung und einer unregelmäßigen Kost zu kämpfen, sondern der größte Theil des Marsches würde noch, durch Schwärme leichter Reiterei, die nur mit offenbarem Vortheil angreifen, das Heer aber immer im Schach halten, und täglich, durch das Abschneiden von Fourrageurs und Marodeurs und die Plünderung der Bagage, die Armee schwächen, aufs äußerste beunruhigt werden. Man wird mir vielleicht einwenden, Rußland könne sich die Freundschaft dieser Stämme erkaufen, oder sie durch Furcht im Zaume halten. Aber auf wie viele Stämme soll sich das Erkaufen der Freundschaft erstrecken? Wie weit soll man dasselbe nach beiden [91] Seiten der Marschroute hin ausdehnen? Und ist das Versprechen der Ruhe wirklich mit theurem Gelde bezahlt, welche Sicherheit hat man denn, daß sie auch Wort halten, vorzüglich wenn eine weit reichere Regierung ihnen das doppelte bietet, um feindlich gegen sie zu operiren? Wie will man ferner auf der andern Seite einem Volke Furcht einjagen, welches mit Haus und Hof schneller entfliehen kann, als Truppenabtheilungen es verfolgen, oder das sich nur ein paar Meilen von der Marschroute zu entfernen nöthig hat, um vollkommen sicher zu seyn? Was haben sie von einem Heere zu fürchten, dessen ganze Existenz davon abhängt, mit aller möglichen Schnelligkeit vorwärts zu kommen, und das sich deshalb weder rechts noch links zu wenden wagt? Dann soll die Armee häufig in so armen Gegenden erhalten werden, daß die Fourrageurs jedes Pfund, was sie bringen, mit dem Degen in der Faust erkämpfen müssen. Der Weg würde durch Wüsten führen, in denen das Heer nur in zwei, drei, vier, fünf oder noch mehr Abtheilungen, die sich nach einander auf derselben Route und mit bestimmten Zeitzwischenräumen folgten, vordringen könnte, weil die Quellen weit auseinander liegen, nicht für das ganze Heer hinreichen, und wenigstens einen Tag erfordern, um sich wieder zu füllen. In Gegenden, in welchen selbst die Karavanen oft Wassermangel leiden, soll man Einrichtungen treffen, daß ein Heer alle 3, 4 höchsten 5 Meilen Wasser finde. Denn es ist ja nicht zu vergessen, daß das kleinste Unglück für alle diejenigen ein Zeichen zum Angriff seyn würde, welche aus was immer für Gründen, bis dahin noch freundlich oder neutral geblieben waren, und daß eine retrograde Bewegung, wenn man schon ziemlich weit vorgedrungen ist, nicht viel weniger wäre, als der sichere Untergang des ganzen Heeres. – Wir könnten hier noch viele Gefahren aufzählen, die niemand abläugnen wird, aber wir haben schon genug gesagt, um selbst den Ungläubigsten von der Unthunlichkeit eines Heerzuges von Rußland nach Indien zu überzeugen, und doch haben wir die Vertheidigungs-Mittel gegen einen Angriff, welche England selbst besitzt, noch kaum angedeutet. Wir wollen jetzt einmal annehmen, daß die Expedition wirklich die Grenzen von Indien erreicht hätte, daß sie sogar im Stande wäre, sich zu halten, bis sie aus Rußland neue Unterstützung erhielte, um mit einer recrutirten Armee und mit besserer Kenntniß des Landes die Operationen zu beginnen. Selbst unter diesen fast unmöglichen Voraussetzungen darf man nicht glauben, daß Indien sich in Einem Feldzuge erobern ließe. Ja, in Einem Feldzuge oder während Eines Jahres könnte eine Armee, der sich gar nichts widersetzte, kaum die Städte, worin die drei Gouvernements ihren Sitz haben, besuchen; und leistete man ihr überdieß Widerstand, so könnten ihre Fortschritte, selbst unter den günstigsten Umständen, nicht bedeutend seyn. Der Krieg würde sich in die Länge ziehen, und dabei die eine der kriegführenden Mächte ihre Verstärkungen und Vorräthe durch Wüsten und feindliche Stämme vom kaspischen Meere her beziehen müssen, während die andere sich auf ihre wohlversehenen Magazine verlassen könnte, und sich nicht weit aus ihrem eigenen Lande zu entfernen brauchte. Es ist unmöglich, daß selbst die reichste und mächtigste Nation einen so ungleichen Kampf bestehen kann; eine der ärmsten in Europa wird daher schwerlich so blind seyn, ihn dennoch einzugehen. Die gesammten Einkünfte Rußlands, die sich auf 80 bis 90 Millionen Thaler belaufen mögen, würden kaum hinreichen, um die Kosten einer solchen Kriegsrüstung zu bestreiten, und da diese im Fall eines Bruchs mit England noch bedeutend dadurch vermehrt werden würden, daß der Kriegszustand auch in Europa nicht unbedeutende Kosten verursachte: so könnte Rußland nicht einmal die erste Auslage der Expedition aus seinen Einkünften aufbringen. Nie hat Rußland Geld genug gehabt, um auf längere Zeit außerhalb des Landes Armeen zu unterhalten, und selbst als es alles aufbot, weil alles auf dem Spiele stand, konnte es seine Armee nicht ohne fremde Hülfe über die Grenze schicken, weil es die Kosten nicht aufzutreiben wußte.

[103] Wir können nach dem Bisherigen dreist behaupten, daß Rußland in seiner jetzigen Lage nie eine Invasion von Indien unternehmen wird, und daß, wenn es dennoch den Versuch machen sollte, die englischen Besitzungen nichts dabei zu fürchten hätten. Aber Rußland kann ein anderes System befolgen, welches den Engländern weit gefährlicher ist, und dieses scheint es wirklich mit Festigkeit durchsetzen zu wollen. Das was es Rußland unmöglich macht in seiner jetzigen Lage die englischen Besitzungen in Indien zu bedrohen, liegt hauptsächlich in der gewaltigen Entfernung vom beabsichtigten Kriegsschauplatz, und das einzige Mittel, wodurch es diese Schwierigkeit heben kann, ist seine Vergrößerung nach dieser Seite zu, sey es nun, daß es die mittelasiatischen Länder mit seinem Reiche vereinige, oder die kleinen Häuptlinge zwinge, seine Oberherrlichkeit anzuerkennen. Es gibt nur zwei Directionen, in welchen es sich auf diese Weise den indischen Grenzen nähern kann. Es scheint uns nicht unwichtig zu seyn, beide in Rücksicht der Leichtigkeit, womit in dieser oder jener Richtung die Vergrößerung sich bewerkstelligen ließ, miteinander zu vergleichen. Die Länder, welche zwischen Rußland und Indien liegen, bezeichnet man mit dem allgemeinen Namen des innern Asiens und versteht darunter Persien, Khiwa oder Kharism, Bochara und Kabul, außer vielen andern Landstrichen, die keine allgemeine Oberherrschaft anerkennen, und häufig Stämmen angehören, die nicht einmal einen Häuptling haben. Rußland könnte nur seine Grenzen bis nach Indien erweitern, entweder durch die Unterjochung von Persien, oder durch die Eroberung von Kharism und Bochara.

Mit einer hinlänglich starken Armee auf einem andern Wege, als durch Kharism nach Bochara einzudringen, ist nicht wohl thunlich, wenn man den Berichten trauen darf, welche die Mitglieder der russischen Mission zu Bochara haben bekannt machen lassen. Eine Armee durch Kharism zu führen, und sich die Communication mit dem kaspischen Meere offen zu halten, setzt aber, wie wir oben gezeigt haben, voraus, daß dieses Land zuvor erobert sey. Obgleich dies für Rußlands Macht nicht unmöglich ist, so hat es doch seine Schwierigkeit, und möchte lange Zeit fordern. Eine große Armee würde vor Hunger umkommen; eine kleine erreicht ihren Zweck nichte: sie kann das Land in tausend Richtungen durchkreuzen, ohne deshalb in der Unterwerfung des Volks Fortschritte zu machen.

Im Allgemeinen scheint eine wahre Unterjochung der asiatischen Stämme nur dadurch möglich zu seyn, daß man sie an feste Sitze gewöhnt nd ihrer nomadischen Lebensart entzieht. Nomaden leiden wenig von einem feindlichen Einfall; sie ziehen mit ihren Heerden in Wildnisse, die nur ihnen zugänglich sind, und leben dort vor jedem Angriff gesichert. Sie haben keinen Besitz zu verlieren, keine Häuser und Dörfer zu verlassen, keine Saaten und keine Erndten Preis zu geben. Ihr Land bringt nichts hervor, wovon der Feind sich erhalten könnte, und dieser schließt nur aus den einzelnen Reiterhaufen, die vor ihm vorbeifliegen, und von denen er weder weiß, woher sie kommen, noch wohin sie gehen, daß das Land bewohnt sey. So ist die Unabhängigkeit der Araber einzig und allein ihrer herumirrenden Lebensart zuzuschreiben, denn die Stämme, welche dieses aufgaben, verloren auch jene. Dasselbe gilt von den Tataren und sehr vielen kleinern Stämmen in Mittelasien. Diejenigen von ihnen, welche unterjocht sind, wählten sich immer schon vorher feste Wohnsitze und Grundeigenthum, gleichsam als die Pfänder, welche den Oberherren für ihre Unterwerfung bürgen. Freilich ist es nicht zu läugnen, daß von den Einwohnern eines Landes, jene welche am meisten zu verlieren haben, in der Regel auch am meisten zur Vertheidigung desselben aufbieten werden; aber wo die Macht fehlt, hilft keine Kraftanstrengung, und jeder unglückliche Empörungs-Versuch, ist nichts als eine ehrenvolle Annäherung zur völligen Unterwerfung. Sind ein oder zwei solcher Versuche gemacht, und gänzlich fehlgeschlagen, so wird der Geist der Freiheit gebrochen werden, und die Hoffnung, sich sein Eigenthum zu erhalten, wird den Ackerbauer mit dem Wechsel der Oberherren versöhnen, und ihn bewegen, sich einem Feinde zu unterwerfen, dem er weder widerstehen noch entfliehen kann. Da nun in Asien die einzige Regierungsform, welche man kennt, die despotische ist; so findet der Angreifer in der Person des Despoten einen festen Punkt, gegen den er alle seine Operationen richten kann, welches bei nomadisirenden Völkern nicht der Fall ist.

Aus allem diesem folgt, daß Rußland besser thut, Landstriche zu vermeiden, deren Einwohner noch keine festen Wohnsitze haben, was wenigstens bei drei Viertheilen der Bevölkerung von Kharism der Fall ist. Es wird daher seine nächsten Wünsche nicht auf Bochara richten, dessen Eroberung um so schwieriger erscheinen muß, wenn man sich erinnert, wie schwer schon die Unterjochung der verschiedenen Stämme des Kaukasus und der großen Ebene zwischen diesem Gebirge und dem Terek und Kuban geworden ist. Die Einwohner von Bochara sind überdieß auch ihres religiösen Fanatismus wegen sprichwörtlich geworden, und es müßte daher erst eine moralische Revolution im Charakter der Usbeken und Turkomanen vorgehen, ehe sie europäischen Gesetzen und einer europäischen Regierung unterworfen werden könnten.

Rußland grenzt dagegen an ein anderes Land, welches ihm viel leichter zu besiegen seyn muß. Dieses Land [104] hat die Macht Rußlands bereits gefühlt und sie anerkannt, ist seit undenklicher Zeit einer despotischen Regierung unterworfen, mit deren Fall stets das ganze Volk unterjocht wurde, und scheint daher nothwendig einst die Beute eines übermächtigen Nachbaren werden zu müssen, so viel natürliche Vertheidigungsmittel es auch besitzen mag. So lange zumal, als es wahrscheinlich bleibt, daß Persien beim Tode des jetzigen Schahs zwanzig Thronbewerber sich erheben sehen wird, von welchen jeder lieber in Abhängigkeit, als gar nicht regieren will, hat Rußland die Krone von Persien eigentlich schon in seiner Hand, indem es dieselbe an jeden der Brüder verleihen kann, den es am liebsten zum Vasallen haben will. Es würde daher ohne Zweifel klüger handeln, wenn es durch eingeborne Fürsten, die es auf den Thron setzte, regierte, als wenn es die bestehende Regierung umstürzte, und das Volk unterjochte, da das erste ihm nicht nur viel leichter werden, sondern auch das Ansehen großer Mäßigung geben würde, ohne daß es etwas Wesentliches dadurch verlöre. Es dauert lange, ehe neu eroberte Länder sich den alten Besitzungen wahrhaft einverleiben lassen, vorzüglich wenn zwischen beiden Verschiedenheit der Religion statt findet. Nimmt Rußland hingegen dem Volke seinen eingebornen Fürsten nicht, und macht diesen vielmehr selbst zum Mittelgliede der Verbindung, so wird es unumschänkter herrschen, als dies viele Jahre hindurch der Fall seyn würde, wenn es unmittelbar regieren wollte. Daß Rußland auch wirklich diese Politik befolgt, läßt sich kaum bezweifeln.

Außer der größern Leichtigkeit sich Persien zu unterwerfen, lassen sich noch mehrere andere Vortheile nachweisen, die aus der Abhängigkeit dieses Landes für Rußland hervorgehen. Persien ist der wichtigste von allen Staaten des innern Asiens, es hat die stärkste Bevölkerung, die größten innern Hülfsquellen, eine höchst vortheilhafte, imponirende Lage, und besitzt in der Meinung der Asiaten unter allen Staaten der Welt den höchsten Rang und das meiste Ansehen. Die Unterwerfung von Persien würde daher auf die übrigen Fürsten in Asien großen Eindruck machen, dahingegen die Eroberung von Kharism und Bochara nur von den Nachbarstaaten bemerkt werden würde. Endlich ist Persien auch viel vortheilhafter für die Ausführung eines Planes auf Indien gelegen als Bochara.

Herat ist jetzt schon in einer gewissen Abhängigkeit von Persien, und wird wahrscheinlich bald ein integrirender Theil davon seyn. Dieser Ort ist unter allen Punkten an der nördlichen Grenze des Landes der Afghanen, der gelegenste um einen Einfall in Indien vorzubereiten. Er liegt fast in gleicher Entfernung von den Städten Kerman, Jesd, Tubbus, Turschihs, Mesched, Bochara, Balkh und Kandahar, ist eine der größten Handelsstädte Asiens, und könnte aus allen genannten und vielen andern kleineren Städten Vorräthe an sich ziehen. Die Stadt liegt in einem fruchbaren, wohlbewässerten Thale, hat ein schönes Clima, und ist zu jeder Zeit reichlich mit allen Lebensbedürfnissen versehen. Man hat sie mit Recht den Schlüssel von Indien genannt. Im Gebiete von Bochara liegt keine Stadt, welche dieselben Vortheile darböte. Bochara selbst bildet eine Oase, und Rußland würde auf dieser Insel noch immer von den südasiatischen Ländern abgeschnitten seyn. Balkh, angenommen auch, dies sey erobert, ist ein Ort, welcher wenig Hülfsquellen in sich schließt, und der bei weitem nicht alle Bedürfnisse für eine Armee besitz. Auch sind die Wege von Balkh nach Kabul für Artillerie unzugänglich, dahingegen man ohne Schwierigkeit Kanonen von jedem Kaliber von Herat nach Kandahar transportiren kann.

Außer diesem Vortheil, Herat als einen Waffenplatz gegen Indien gebrauchen zu können, hätte Rußland auch Hoffnung die Perser bald zu guten Soldaten zu bilden. Die Verbindung der Engländer mit diesem Volke hat dasselbe schon für die Einführung europäischer Kriegszucht vorbereitet; und werden die persischen Soldaten auf europäische Art disciplinirt und von geschickten europäischen Offizieren angeführt, so werden ihnen wenige Armeen bei einem Feldzuge in Asien überlegen seyn. Sie sind ordentlich und gehorsam, thätig und verständig, außerordentliche Strapatzen und Entbehrungen zu tragen fähig, muthig, und bei vernünftiger Behandlung ihren Offizieren gänzlich ergeben – kurz sie besitzen alle Eigenschaften, die zu einem guten Soldaten erforderlich sind. Dagegen würden Jahrhunderte dazu gehören, die Usbeken und Turkomanen von Khiwa und Bochara einer europäischen Kriegszucht zu unterwerfen.

Wir wollen einmal annehmen, daß Rußland über die 40 bis 50,000 Mann, die Persien jetzt unter dem Namen regulärer Infanterie in den verschiedenen Theilen seines Reiches hält, ausgesuchte Offiziere setzen könnte, um sie discipliniren und commandiren zu lassen; daß es zu diesem Heere eine eben so starke Abtheilung russischer Infanterie fügte; daß es die persische Artillerie organisirte, und ein tüchtiges Corps persischer Reiterei auserwählte, so würde es Bochara leicht erobern, oder seine Regierung sich dienstbar machen können. Kharism, dann von allen Seiten von Rußland oder seinen Vasallen umschlossen, müßte sich nothwendig auch fügen. Kurz es ist klar, daß Rußland durch den Besitz von Persien ein überwiegendes Ansehen im innern Asien erlangen würde.

Die Lage der Türkei würde dann freilich sehr unsicher werden; ihre schwächste Grenze zum Kaukasus bis zum persischen Meerbusen wäre ganz offen. Zwischen Tabris und dem Bosphorus ist nichts, was sich einer persischen Armee mit Kraft entgegen stellen könnte. Bagdad, welches Persien noch fortwährend als ihm gehörig betrachtet, würde erobert und mit dem persischen Reiche verbunden werden; und sollte es nun zu einem Bruche zwischen Rußland und der Türkei kommen, so würde die Invasion von der Seite von Asien her für letztere eben so furchtbar werden, als die von Europa aus. Die Eroberungen der Perser müßten den Russen zu Statten kommen, und jeder Krieg müßte die Türkei doppelt schwächen, weil er die Macht ihrer beiden verbündeten Feinde vermehrte. Wenn auch die Eifersucht der europäischen Mächte Constantinopel noch erhielte, so hätte doch alle reelle Macht der ottomanischen Pforte, die ihr jetzt noch übrig seyn mag, ein Ende.

[107] Was die angedeutete Aenderung für eine Wirkung auf das politische System von Europa hervorbringen würde, ist schwer zu bestimmen; aber sie würde von dieser Seite England nicht weniger nachtheilig werden, als es die Unterwerfung Persiens von einer andern Seite wäre.

Nach diesen Vorbereitungen würde nun auch die Frage von der Möglichkeit einer Invasion in Indien eine ganz andere Gestalt gewinnen. Rußland wäre dann in einer Stellung, wo es ihm nicht sehr schwer werden könnte, eine Armee an der indischen Grenze aufzustellen. Es hätte Zeit Vorräthe und Magazine in Herat und Furrah anzulegen, und könnte fast bis nach dem Kriegsschauplatze hin Anstalten treffen, die sein Vorhaben allerdings furchtbar machen müßten. Man würde seinen Namen und seine Macht kennen, und die Unzufriedenen würden sich mit dem Angreifer verbinden. So könnte sich Rußland dann mit gleichen Kräften England gegenüberstellen, und besäße auf jeden Fall das Mittel auch wieder auf England einzuwirken, was ihm jetzt freilich ganz abgeht, und wornach es allerdings zu streben Ursache hat.

Das Königreich Kabul, welches unter andern Voraussetzungen das einzige Land wäre, das Rußland noch von Indien trennte, ist jetzt in mehrere Fürstenthümer getheilt. Herat ist der Sitz einer kleinen Regierung, an deren Spitze der Repräsentant der königlichen Familie von Kabul steht, [108] welcher kürzlich mit einem der Söhne des Schahs von Persien ein Bündniß abgeschlossen hat, und ihm jährlich eine Summe zahlt, die zwar ein Geschenk genannt wird, aber in der That nichts anderes als ein Tribut ist. Persische Truppen, von einem Enkel des Schah’s commandirt, hatten in diesem Augenblicke die Citadelle von Herat besetzt. Kandahar wird von drei Brüdern, welche die legitime Dynastie entthront haben, beherrscht; ein vierter Bruder regiert in Kabul, welches er kürzlich seinem Neffen geraubt hat; und Peschavur hat ein anderes Glied derselben Familie inne, welches sich durch einen jährlichen Tribut an Rund-schit-sing, den Fürsten der das Land zwischen dem Indus und dem Hyphasis unter seiner Botmäßigkeit hat, gegen einen Einfall der Scheiks sichert.

Jene Brüder haben endlose Kämpfe und Streitigkeiten unter einander, und sind alle zugleich Feinde des Fürsten von Herat, den sie als ihren gefährlichsten Feind betrachten, weil er von der alten Dynastie abstammt. Die Bevölkerung des Landes ist in viele kleine Stämme getheilt, die diesem oder jenem der genannten Fürsten anhängen, je nachdem örtliche oder Familienverhältnisse es mit sich bringen. Die Schwäche der Regierungen, ihre immerwährenden kleinen Kriege, und die Eifersucht der Stämme untereinander, haben das Volk so unstät und das Eigenthum so unsicher gemacht, daß der Ackerbau vernachläßigt, das Land verwüstet, und manches Dorf ganz verlassen ist.

Die Einwohner sind tapfer und kriegerisch, und gelten sonst für die besten Reiter in Asien. Nadir Schah hielt sie für die schönsten Truppen in seiner Armee. Jetzt ist indessen nicht zu erwarten, daß sie sich zu irgend einem gemeinschaftlichen Plane vereinigten; die Gegenwehr, die sie einer angreifenden Armee entgegensetzen könnten, ist daher von keinem Belang. Man könnte uns einwenden, das sey gerade die beste Art von Gegenwehr, die unregelmäßige Truppen gegen ein geordnetes Heer wählen müßten, so ohne Plan und ohne gemeinsamen Anführer, bald hier bald dort anzugreifen; aber dies ist wohl nur dann der Fall, wenn das Heer, durch Strapatzen aller Art, und durch Mangel an den nöthigsten Bedürfnissen, nicht im Stande ist, die Neckereien kleiner Reiterhäuflein gehörig zurück zu weisen. Die Entfernungen sind aber jetzt nicht mehr so ungeheuer, daß deshalb die Desorganisation eines Heeres zu befürchten wäre. Von Herat über Furrah nach Kandahar sind ungefähr 90 Meilen, durch ein Land, welches größtentheils unfruchtbar und zuweilen sehr sparsam mit Wasser versorgt ist; da aber der Weg gut ist, und in der Nähe desselben einige bedeutende Ortschaften liegen, von welchen man Zufuhr erhalten kann, so wie Kandahar selbst einige bedeutende Vorräthe darbietet; so sind hier die natürlichen Hindernisse wohl zu überwinden. Von Kandahar nach Kabul zählt man nur 50 Meilen, von da nach Peschavur 30 Meilen durch eine leicht zu passirende Gegend;und von Peschavur an die Ufer des Indus sind zwei oder drei Tagmärsche. Die ganze Entfernung von Herat bis an den Indus beträgt höchstens 180 Meilen. Dieß ist freilich noch immer eine bedeutende Strecke, aber der Weg geht durch drei Hauptstädte und verschiedene kleinere Ortschaften, ohne gerade Schwierigkeiten darzubieten, die sich nicht durch Vorsicht und verständige Anordnungen besiegen ließen. Es ist nothwendig, für mehrere Monate Vorräthe mitzunehmen, und an einigen Stellen auch sogar Wasser. Die Straße indeß ist, wenn auch nicht gut, doch nicht unwegsam. Aber auch nach diesem Marsch an den Indus hat das Heer noch Schwierigkeiten zu überwinden. Die europäischen Truppen leiden viel vom Clima; es werden Fehler gemacht, aus denen der Feind Vortheil zu ziehen sucht; je weiter das Heer vordringt, desto schwieriger wird es, dasselbe zu versorgen u. s. w. Außerdem sind mehrere große Flüsse zu passiren, und dieß muß oft im Angesicht der feindlichen Truppen geschehen; alles noch ehe die Armee nur einen Fuß auf das englische Gebiet setzt. Der Uebergang über den Indus allein ist unter den vorhandenen Umständen ein großes Unternehmen und läßt sich vielleicht gar nicht bewerkstelligen. Die Kriegskosten müssen auf jeden Fall ungeheuer werden, auch wenn Persien einen Theil davon tragen sollte; und wenn der Krieg sich in die Länge zieht, so ist Rußland genöthigt, sein ganzes Unternehmen aufzugeben, weil, im Fall die Expedition ganz mißglückte und der europäische Theil der Armee aufgerieben würde, Rußland höchst wahrscheinlich wieder ganz über den Kaukasus zurückweichen müßte.

Auf der andern Seite würde aber auch der Schaden, den England durch ein solches Unternehmen Rußlands erleiden würde, unermeßlich seyn; selbst der Nachtheil, den die Occupation von Persien, oder ein gebietender Einfluß Rußlands auf den Hof von Teheran, für England nach sich ziehen muß, ist groß und fortdauernd. Es ist schwer zu bestimmen, wie viel europäische Truppen England unter diesen Umständen in Indien bedürfte, um seine nördlichen Grenzen einigermaßen zu decken; aber mit Gewißheit läßt sich sagen, daß eine wirkliche Invasion und ein fortgesetzter Krieg an der indischen Gränze mit so ungeheuren Geldaufopferungen für England verbunden wäre, daß es sie nur in der Zuversicht machen könnte, die feindliche Macht werde eher unvermögend seyn, die nöthigen Mittel zur Fortsetzung des Krieges aufzutreiben, als es selbst.

Zum Schluß wollen wir unsere Ansicht nur noch einmal kurz zusammenstellen.

Wir behaupten, daß Rußland in seiner jetzigen Lage Indien mit einer Invasion nicht einmal bedrohen könne; daß es sich bedeutend vergrößern müßte, um die brittischen Besitzungen angreifen zu können; daß es vortheilhafter für dasselbe sey, sich nach der Seite von Persien, als nach der Seite von Bochara zu vergrößern; daß der Einfluß auf Persien, Rußland ein überwiegendes Ansehen im innern Asien geben, und dasselbe in den Stand setzen werde, eine Invasion in Indien zu unternehmen. Hierdurch würde dann Rußland seine politischen Verhältnisse mit Großbritannien auf einen sehr vortheilhaften Fuß setzen, obgleich die Entscheidung des Kampfes, im Falle eines wirklichen Angriffes, immer noch im höchsten Grade zweifelhaft seyn würde.


  1. Wir können hier unmöglich eine Beschreibung der Länder geben, von welchen die Rede seyn wird; wir berufen uns daher in dieser Hinsicht auf die besten und neuesten Werke über dieselben: auf Fraser’s Khorassan, de Mouravieff Voyage en Tourkomannie, Dr. Eversinan’s Account of the progress of the Nigri’s mission to Bokhara, Elphinstone’s Account of Cabul und Kinneir’s Geographical memoir on Persia.
  2. Man wird es in Europa kaum glauben, daß diese asiatische Reiterei Tagesmärsche von 14 bis 15 deutschen Meilen macht, und zwar mehrere Tage nach einander und ohne große Unbequemlichkeit. Dies ist aber in jenen Gegenden, wo man große Strecken weit kein Wasser und keinen Mundvorrath antrifft, nothwendig, um überhaupt durch die Wüsteneien durchdringen zu können, welche für Fußvolk unzugänglich sind.
  3. Die Eroberer von denen man sagen kann, daß sie Indien mit Glück angegriffen haben, sind: Alexander, der aber nie das Gebiet betrat, welches jetzt England inne hat, denn er kam nicht über den Hyphasis, welcher die nördliche Grenze der englischen Besitzungen bildet; Timur und Nadir, die wohl Dehli eroberten, und das Land verwüsteten, aber doch in keinem Sinn des Worts Eroberer von Indien genannt werden können; ferner Mahmud, Mahomed Gorih, Achmed Schah und Baber, die angrenzende Länder beherrschten, und sich nur durch wiederholte Expeditionen jenseits des Indus festsetzten. Eine Idee vom damaligen Zustand der indischen Regierungen kann man sich nach dem einzigen Umstande machen, daß Baber Dehli eroberte, und ein mongolisches Reich in Indien stiftete, mit einem Heere von 10,000 Reitern.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Mir