Zum Inhalt springen

Seite:Das Relativitätsprinzip (Lehmann).djvu/23

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Es läßt sich indes zeigen, daß der zweite Hauptsatz der Thermodynamik, das Anwachsen der Entropie nur verständlich erscheint unter Annahme atomistischer Konstitution der Materie. Nur auf solche Weise ergeben sich irreversible Prozesse, wie sie jenes Gesetz voraussetzt, während die elementaren Gesetze der Mechanik und Elektrizitätslehre alle Vorgänge als umkehrbar erscheinen lassen. Bei der völligen Unordnung molekularer Vorgänge muß sich der Zustand dem wahrscheinlichsten zu nähern suchen. Beispielsweise ist bei ungleichmäßiger Verteilung der Bewegungsenergie der Moleküle, d. h. der Temperatur, zu erwarten, daß sich der Zustand dem wahrscheinlichsten d. h. der gleichmäßigen Temperaturverteilung nähere, z. B. wenn ein heißer und ein kalter Körper zusammengebracht werden. Rückkehr zum Anfangszustand kann von selbst nicht eintreten, weil eben die Wahrscheinlichkeit dieses Zustandes, somit die Entropie ein Maximum ist. Genauer ist die Entropie dem Logarithmus der Wahrscheinlichkeit proportional. Da nun ferner auch die Strahlung Entropie enthalten muß, weil ein strahlender Körper Entropie verliert und doch im ganzen eine Zunahme eintritt, muß auch die Strahlung eine Art atomistischer Struktur besitzen, sie kann nur in einzelnen Quanten, gewissermaßen Energieatomen, ausgesandt und absorbiert werden (Planck a. a. O. S. 70 u. ff.)[1].

Das Ergebnis ist von großer Wichtigkeit zum Verständnis der Elektronentheorie[2] in ihren zahlreichen Anwendungen, vor allem auch für die weitere Aufklärung der Entladungserscheinungen und der Radioaktivität, da gerade hier Elektronen- und Ionengeschwindigkeiten auftreten, bei welchen die Korrektionen der gewöhnlichen Naturgesetze durch das Relativitätsprinzip, welche bei geringen Geschwindigkeiten kaum in Betracht kommen, außerordentlich große Werte annehmen.

Man hat auch die Ansicht aufgestellt, Materie sei überhaupt nichts anders als ein Aggregat äußerst rasch umlaufender


  1. Einstein hat dieses Ergebnis geradezu zu einer »Lichtquantentheorie« ausgearbeitet, die an Newtons Emissionstheorie erinnert, indes augenscheinlich zu weit geht.
  2. Siehe J. J. Thomson, Die Korpuskulartheorie der Materie, Braunschweig 1908. H. A. Lorentz, The Theorie of electrons, Leipzig 1909.
Empfohlene Zitierweise:
Otto Lehmann: Das Relativitätsprinzip der neue Fundamentalsatz der Physik. Verhandlungen des Naturwissenschaftlichen Vereins in Karlsruhe, Bd. 23 (1909-1910), Karlsruhe 1911, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Relativit%C3%A4tsprinzip_(Lehmann).djvu/23&oldid=- (Version vom 11.8.2024)