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zur Beobachtung, die Gesellschaft aber, als der Tummelplatz aller Lügen, ist gerade am wenigsten geeignet. Die Minderzahl erwirbt Erfahrungen als Wohlthäterin, Lehrerin, Erwerbstätige, Reisende u. s. w. Meist beziehen sich die Beobachtungen nur auf einzelne gesellschaftliche Schichten oder natürliche Gruppen. Auch fehlt meist das Vergleichsobject, da die Gelegenheit, viele und verschiedenartige Menschen aus der Nähe zu beobachten, selten gegeben ist. Natürlich giebt es Ausnahmen, die zufälligen Lebensverhältnisse oder der Beruf (z. B. der einer Schauspielerin) können ungewöhnlich günstige Gelegenheit zum beobachten, geben.

Es ist ersichtlich, dass dem Nachtheile des Mannes, dass er nicht unmittelbar am Innenleben des Weibes theilnehmen kann, manche Vortheile gegenüberstehen. Auch Die, die den factisch vorhandenen Unterschied zwischen dem männlichen und dem weiblichen Geiste als unnatürlich und durch Misshandlung des Weibes bewirkt ansehen, müssen zugeben, dass, wie die Dinge liegen, der Mann mehr Anlage zum beobachten hat als das Weib, dass er unbefangener sieht, ausdauernder und folgerichtiger sieht, und dass das Leben ihm mehr Gelegenheit zur Beobachtung gewährt. Aber der Werth der Männer als Beobachter ist sehr verschieden. Auch hier kommt es natürlich auf Befähigung und Bildung, sowie auf Gelegenheit an. Von den sog. gebildeten Ständen werden die im Vortheile sein, die durch ihren Beruf zur Menschenbeobachtung erzogen sind. Die Gelegenheit ist von zweierlei Art. Erstens muss der Mann intimen weiblichen Umgang gehabt haben, er muss nicht nur Mutter, Schwestern und andere weibliche Verwandte gehabt haben, sondern auch geschlechtliche Gemeinschaft. Im allgemeinen wird der Ehemann besser befähigt sein, als der, der nur Liebschaften kennt, denn diese Verhältnisse dauern oft nicht lange genug und die weiblichen Theilnehmer sind oft zu wenig werthvoll. Andererseits ist mancher Ehemann theils durch die Liebe, die blind macht, theils durch Rücksicht, die jede Verletzung vermeiden möchte, gehemmt. Demnach hätte die günstigsten Verhältnisse der Verheirathetgewesene. Zweitens muss den Mann sein Beruf befähigen, sehr viele und verschiedenartige Weiber so genau wie möglich zu beobachten. Nimmt man

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Paul Julius Möbius: Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes. 5. veränderte Auflage. Marhold, Halle a. S. 1903, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_%C3%9Cber_den_physiologischen_Schwachsinn_des_Weibes_(M%C3%B6bius).djvu/50&oldid=- (Version vom 31.7.2018)