Seite:De Arndt Mährchen 1 432.jpg

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Und wie hätten sie sie finden sollen? Sie waren in Vögel verwandelt und müssen nun in der weiten Welt herumfliegen. Grethchen ist ein Rothkehlchen geworden und Kathrinchen ein Kohlmeischen; denn Grethchen trug immer ein rothes seidenes Tuch um den Hals und Kathrinchen ein gelbes. So müssen sie nun als kleine Vögel in den Wäldern rundfliegen und Hunger und Durst leiden Hitze und Kälte aushalten und vor Sperbern und Falken vor Schlangen und Ottern vor Jägern und wilden Buben zittern. Das hatte ihre Mutter wohl nicht gedacht, als sie so sittig und fein mit ihr in dem Kämmerlein saßen und stickten und webten und näheten und Abends und Morgens bei dem Zubettgehen und Aufstehen mit heller Stimme geistliche Lieder sangen. Aber die armen Kinder sind zuerst verlockt dann verführt und so endlich in schwere Sünden gefallen, und haben kaum gewußt, wie sie dazu gekommen sind: so leise und sanft hat der Leichtsinn sie seinen Schlangenblumenweg geführt. Daß diese kleinen Vögel einst Menschen gewesen, ist ganz natürlich, und man kann es auch daraus sehen, daß sie immer um die Häuser der Menschen fliegen, auch oft durch die offenen Fenster in die Zimmer kommen und sich da fangen lassen, auch daß sie im Walde, so wie sich nur Menschen da sehen

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Ernst Moritz Arndt: Mährchen und Jugenderinnerungen. Erster Theil. Berlin 1818, Seite 432. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Arndt_M%C3%A4hrchen_1_432.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)