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Sauerstoff muss sich darin in einem Zustande der Verdichtung befinden, in welchem er dichter als flüssiges Wasser ist.

In dem Zustand der Verdichtung, in welchem das Sauerstoffgas an der Oberfläche des metallischen Platins sich befindet, lassen sich seine Eigenthümlichkeiten, so wie die vieler anderen Gase, gegen welche sich das Platin in gleicher Weise verhält, in weit auffallenderer Weise anschaulich machen; der chemische Charakter der Gase tritt in eben dem Grade mehr hervor, als ihr physikalischer Charakter abnimmt.

Der letztere liegt bekanntlich in dem Streben ihrer kleinsten Theilchen sich abzustossen oder von einander zu entfernen, worauf ihre Eigenschaft beruht, einen Raum, in den man sie bringt, nach allen Richtungen hin auszufüllen; da nun die chemische Action erst dann eintritt, wenn die materiellen Theilchen, von denen sie ausgeht, in einer gewissen Nähe sich befinden, so ist leicht einzusehen, dass die Elasticität der Gase ein Haupthinderniss für die Aeusserung ihrer chemischen Verwandtschaften ist; die Eigenschaft der Gastheilchen, sich abzustossen, ist ja der gerade Gegensatz von dem, was man Anziehung nennt.

Die in den Poren poröser Körper verdichteten Gase zeigen eine sehr hoch gesteigerte chemische Thätigkeit. Verbindungen, welche der Sauerstoff im gewöhnlichen Zustande nicht einzugehen, Zersetzungen, die er nicht zu bewirken vermochte, sie gehen in den Poren des Platins, welche den verdichteten Sauerstoff enthalten, mit der grössten Leichtigkeit vor sich.

In diesem Platinschwarz, selbst in dem Platinschwamm, hat man in der That ein Perpetuum mobile, eine Uhr, welche abgelaufen, sich wieder von selbst aufzieht, eine Kraft, die sich nie erschöpft, Wirkungen der mächtigsten Art, die sich in’s Unendliche hinaus wieder erneuern.

Wir lassen Wasserstoffgas auf Platinschwamm strömen, dessen Poren verdichtetes Sauerstoffgas enthalten, und sehen, dass das Platin rothglühend wird, und das nachströmende Wasserstoffgas sich entflammt. Diese auffallende Erscheinung beruht auf einer Wasserbildung, welche in den Poren des Platinschwamms vor sich geht. Das Wasserstoffgas, welches mit dem unverdichteten Sauerstoffgas ohne Entzündung sich nicht vereinigt, verbindet sich direct und unmittelbar mit dem verdichteten. In dem Innern des Platinschwamms bildet sich Wasser, und die unmittelbare Folge dieser Wasserbildung, der Verbrennung von Wasserstoff, ist ein Freiwerden von Wärme, ein Glühendwerden des Platins, wodurch das nachströmende Gas entzündet wird. Die Wärmeentwickelung ist eine Folge der Wasserbildung, die Entflammung des Gases eine Folge der entstandenen hohen Temperatur. Unterbrechen wir den Strom des brennbaren Gases, so füllen sich in einem nicht messbaren Augenblick die entleerten Poren des Platins mit Sauerstoffgas wieder an, und die nämliche Erscheinung lässt sich zum zweiten Mal, ja ins Unendliche fort wiederkehren machen.

Das metallische Platin verhält sich gegen viele brennbare Gase auf gleiche Weise, wie gegen Wasserstoffgas; es vermittelt[1] ihre Verbindung mit dem Sauerstoff und erhöht ihre Verbrennlichkeit. Manche Gase, welche für sich nicht entzündlich sind, verbrennen leicht, wenn sie mit Sauerstoffgas gemengt über heissen Platinschwamm geleitet werden. Eine der bemerkenswerthesten Verbrennungen dieser Art ist die des Ammoniakgases;

  1. WS: korrigiert, im Original: ermittelt
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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_084.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)