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Kieselsäure aufzunehmen, und wodurch ein in seiner Qualität verbessertes Glas entsteht.

Das Natron dient ferner zur Darstellung von Wasserglas, von welchem in der neueren Zeit eine so ausgedehnte Anwendung gemacht wird; es besteht in einem Silikate von Natron (oder Kali) und ist demnach kein eigentliches Glas; es dient als Kitt für Glas, Porcellan und Metalle, zur Entschälung der rohen Seide, zum Befestigen von Farben auf Papier und Baumwolle; Holz damit getränkt verliert seine Entzündlichkeit; ganz besonders wichtig ist dessen Anwendung zur Darstellung des hydraulischen Kalkes, zum Verkieseln der Kalkwände und in der Freskomalerei.

Das Wasserglas, welches von Fuchs in München entdeckt wurde, wird durch Schmelzen von schwefelsaurem Natron und etwas Kohle, oder von kohlensaurem Natron (oder Kali) mit Quarz oder reinem Sande in Gestalt eines durchsichtigen Glases gewonnen, welches, fein gepulvert in kochendes Regenwasser getragen, sich zu einer syrupähnlichen Flüssigkeit auflöst, welche, auf Glas, Stein und Metall aufgestrichen, zu einem unverbrennlichen Firniss eintrocknet; wird diese Auflösung stärker eingedampft, so gesteht das Ganze zu einer durchscheinenden Gallerte. Die wichtigsten Eigenschaften dieses Glases lassen sich durch folgenden Versuch anschaulich machen. Legt man in eine Auflösung von Wasserglas, welche etwa 10 pC. trockne Substanz enthält, ein Stück gewöhnlicher, mit reinem Wasser vorher benetzter Schreibkreide, nimmt es nach 3 bis 4 Tagen heraus und lässt es trocknen, so findet man, dass die Kreide ihre gewöhnlichen Eigenschaften völlig verloren hat; aus einer weichen abfärbenden Substanz ist sie in eine steinharte Masse übergegangen, welche mit dem Fingernagel keinen Eindruck mehr annimmt und, mit einem glatten Körper gerieben, Politur erhält. Diese Aenderung erstreckt sich tief in das Innere des Stückes, je nach der Dauer der Einwirkung des Wasserglases und rührt von einer wahren Verbindung des kohlensauren Kalkes der Kreide mit dem kieselsauren Alkali her, zu einer Masse, die durch Kohlensäure und Feuchtigkeit nicht mehr angegriffen wird. In gleicher Weise werden Mauern und Kalkwände, bis zur Sättigung mit der Auflösung des Wasserglases getränkt, wie verkieselt und gegen Verwitterung geschützt. Gemälde auf Kalkwänden, deren Farben einfach mit Wasser aufgetragen worden und die nach dem Trocknen verwischbar geblieben sind, werden durch Anspritzen mit Wasserglaslösung wie durch einen unzerstörbaren Leim dauerhaft darauf befestigt. Die grossen Wandgemälde in dem Museum zu Berlin sind in dieser Weise durch Kaulbach ausgeführt worden, der sich um diese neue Art von Malerei, welche Fuchs stereochromische (Festfarben-) Malerei genannt hat, die grössten Verdienste erwarb, in so fern dieser berühmte Künstler die Ideen von Fuchs zuerst mit Erfolg aufnahm und technisch fruchtbar zu machen wusste.

Mit Wasserglas, gemischt mit Kreide und Zusatz von Eisenoxyd und Erdfarben, bemalt man in München sehr zierlich die gewöhnlichen eisernen Heizöfen, welche dadurch das Ansehen von Porcellan- oder Thonöfen erhalten. Man hat vor einigen Jahren im Hannöverschen bei Oberohe und Hützel grosse Lager von einer unendlich feinen, beinahe

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_092.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)