Seite:De Chemische Briefe Justus von Liebig 108.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


Wenn der elektrische Strom in einem schraubenförmigen Draht um ein Eisenstück circulirt, so wird dieses zu einem mächtigen Magneten, welcher viele Centner Eisen anzieht und trägt. Die elektrische Kraft setzt sich um in magnetische Kraft, durch welche eine Maschine in Bewegung gesetzt werden kann. Die Grösse der Zugkraft, welche das Eisenstück durch den elektrischen Strom empfängt, steht in einem ganz bestimmten Verhältniss zu der Menge der im Stromleiter circulirenden Elektricität, und diese ist bei gleicher Zufuhr abhängig von der Beschaffenheit des Stromleiters. Derjenige Theil der Elektricität, welcher in dem Stromleiter sich in Wärme umgesetzt hat, wirkt nicht mehr auf das Eisenstück, d. h. er bringt in diesem keine Zugkraft hervor. Es zeigt sich nun, dass die Menge der strömenden Elektricität, die damit erzeugte Wärme und die in Arbeitskraft umgewandelte magnetische Kraft in einem ähnlichen Verhältniss zu einander stehen, wie die durch den Druck einer fallenden Wassermasse hervorgebrachte Arbeitskraft zu der durch Reibung oder Stoss erzeugten Wärme. Dieselbe Elektricitätsmenge, welche durch Leitungswiderstände in Wärme umgewandelt die Temperatur von 1 Pfd. Wasser um 1° erhöht, bringt eine magnetische Zugkraft hervor, wodurch 13½ Ctr. einen Fuss hoch gehoben werden können.

Wenn der Metalldraht, in welchem die Elektricität circulirt, durchschnitten und die beiden Enden in ein Gefäss mit Wasser eingetaucht werden, so findet eine chemische Zersetzung des Wassers statt; das Wasser wird in Wasserstoff- und Sauerstoffgas zerlegt. Die strömende Elektricität setzt sich um in chemische Verwandtschaft und in eine Zugkraft, welche die Trennung der Elemente des Wassers bedingt; es zeigt sich hierbei keine Wärme und keine magnetische Kraft, mit der Entwickelung des Wasserstoffs und Sauerstoffs verschwinden alle Zeichen des elektrischen Stroms. Alle Wirkungen des elektrischen Stroms, sein Vermögen, Wärme oder magnetische Kraft zu erzeugen, sind scheinbar untergegangen und vernichtet worden; an ihrer Stelle haben wir zwei Gasarten, von denen die eine, der Wasserstoff, brennbar d. h. mit Sauerstoff verbindbar ist, und angezündet wieder zu Wasser verbrennt. Bei dieser Verbrennung wird Wärme erzeugt.

Genaue Versuche haben nun dargethan, dass ein elektrischer Strom von bekannter Stärke, welcher im Stromleiter in Wärme umgewandelt 1 Pfund Wasser um 1° erwärmt, zur Zersetzung von Wasser verbraucht, eine Menge Wasserstoffgas liefert, mit welchem, wenn es angezündet und verbrannt wird, genau 1 Pfd. Wasser von 0° auf 1° erhitzt werden kann.

Was der elektrische Strom an Wärme und Zugkraft bei der Wasserzersetzung verloren zu haben schien, ist, so kann man sagen, in den Elementen des Wassers latent geworden. Bei ihrer Wiedervereinigung zu Wasser wird diese Wärme wieder frei, welche in Arbeitskraft übergeführt eben so viel Gewicht einen Fuss hoch gehoben hätte, als dies durch die in magnetische Zugkraft übergeführte strömende Elektricität geschehen konnte, wäre sie nicht zur chemischen Zersetzung verwendet worden.

Der elektrische Strom ist die Folge einer chemischen Action und es kann die Menge der strömenden Elektricität gemessen werden durch die Menge des aufgelösten Zinks. Die chemische Kraft (Affinität) setzt sich bei der Auflösung des Zinks um in eine entsprechende Menge Elektricität.

Empfohlene Zitierweise:
Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_108.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)