Seite:De Chemische Briefe Justus von Liebig 167.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


Die Krätze ist eine Hautentzündung, veranlasst durch den Reiz einer Milbe (Acarus scabiei, Sarcoptes humanus), welche auf der Haut, richtiger in Gängen derselben, lebt; zur Mittheilung der Krätze bedarf es einer dauernden Annäherung, besonders zur Nachtzeit, weil die Krätzmilbe ein nächtliches Raubthier ist. Dass die Milbe wirklich das Contagium der Krätze sei, wird durch folgende Thatsachen erwiesen: Einimpfung des Eiters aus Krätzpusteln erzeugt nicht Krätze, eben so wenig das Tragen der Krusten scabiöser Pusteln auf dem Arme; sodann kann die Krätze geheilt werden durch Abreiben der Milben mit Ziegelmehl; sie kann nicht übertragen werden durch männliche, sondern nur durch befruchtete weibliche Krätzmilben. Zur allgemeinen Krankheit wird die Krätze durch Fortpflanzung; die Krankheit ist chronisch und heilt nicht von selbst (Henle).

Das Contagium der Krätze ist hiernach ein Thier mit Fresswerkzeugen, welches Eier legt; es heisst fixes Contagium, weil es nicht fliegen kann und weil seine Eier durch die Luft nicht verschleppt werden.

Die Muscardine ist eine Krankheit der Seidenraupe, welche von einem Pilze verursacht wird. Die Keime des Pilzes in den Körper der Raupe eingeführt, wachsen auf Kosten derselben nach innen; nach dem Tode des Thieres durchbohren sie die Haut und auf ihrer Oberfläche erscheint ein Wald von Pilzen, welche allmählich vertrocknen und sich in einen feinen Staub verwandeln, welcher durch die leichteste Bewegung sich von dem Körper, auf dem er lagert, erhebt und in die Luft zerstreut; sie ist der Typus der flüchtigen Contagien. Gute Nahrung, vollkommene Gesundheit erhöhen die Ansteckungsfähigkeit der Individuen, auf welchen sich diese Keime verbreiten.

Man hat aber wahrgenommen, dass eine Menge von Insecten nur in dem Leibe oder unter der Haut höherer Thiere sich entwickeln und fortpflanzen, und so durch sie in vielen Fällen Krankheit und Tod des höheren Thieres herbeigeführt wird. Wenn man sich darin gefällt, die Krätzmilbe ein Contagium zu nennen, so gehören alle Krankheiten, welche durch Thiere, durch Parasiten in gleicher Weise verursacht werden, zu den contagiösen Krankheiten, da die Grösse oder Kleinheit des Thieres für die Erklärung keinen Unterschied abgeben kann.

Man hat parasitische Pflanzen, ähnlich der Muscardine, an kranken Fischen, an Infusorien, an Hühnereiern wahrgenommen, und es ist hiernach gewiss, dass diese Beobachtungen eine Reihe von Thatsachen feststellen, welche in der Pflanzen- und Thierwelt überaus häufig wahrgenommen werden, nämlich Krankheit und Absterben durch Parasiten, die ausschliesslich nur auf Kosten der Bestandtheile anderer Thiere oder Pflanzen leben; und wenn es zulässig ist, einen Pilz mit dem Namen Contagium zu bezeichnen, so muss zugegeben werden, da die Grösse oder Kleinheit die Anschauungsweise nicht ändern kann, dass es 6 bis 8 Zoll lange Contagien giebt; denn der Pilz Sphaeria Robertii, der sich in dem Leibe der neuseeländischen Raupe entwickelt, erreicht diese Grösse.

Wenn man aber weiss, dass die Krätze durch Thiere, und andere Krankheitszustände durch Pilzsporen fortgepflanzt werden, so bedarf es keiner besonderen Theorie, um die Mittheilung und Ansteckung zu erklären, und es versteht sich ganz von selbst, dass alle Zustände zu

Empfohlene Zitierweise:
Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_167.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)