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Aus dem Vorstehenden wird man, wie ich glaube, den wahren Werth der Ansicht, so wie alle Fälle der sogenannten Selbstverbrennung zu beurtheilen vermögen und einsehen, warum die Wissenschaft von einer solchen Theorie, welcher alle und jede Grundlage fehlt, keine Notiz genommen hat.

Die innige Beziehung des Branntweintrinkens und der Todesfälle durch Feuer ist so handgreiflich und offenbar, dass kaum eine weitere Auseinandersetzung nöthig ist. Bei einem betrunkenen, der Ueberlegung beraubten und alles Urtheils über Gefahr und was damit zusammenhängt unfähigen Menschen darf man jede, auch die unwahrscheinlichste Handlung voraussetzen. Man kann sich denken, dass in diesem Zustand ein Mensch beim Zubettgehen und beim Lichtauslöschen Vorhang und Bett anzündet, dass er bei verschlossenem Kamine neben einem Kohlenbecken mit glühenden Kohlen im Winter sich zu Bett legt, oder in der Absicht, unter dem Bett einen Stiefelauszieher zu holen, das brennende Licht, was er benutzte um denselben zu finden, unter dem Bette stehen lässt. Unzählige, gleich wahrscheinliche Voraussetzungen geben dem Verstande hinlänglich Rechenschaft über Feuer, was in einem Raume ausbricht, in welchem sich Licht und ein Mensch befindet, und wenn sich dieser Mensch noch im Zustande der vollkommenen Betrunkenheit befindet, so ist durch diesen Umstand die Gefahr in dem nämlichen Verhältniss vergrössert, in welchem sich seine Zurechnungsfähigkeit vermindert, er ist einem Kinde gleich zu stellen, welches von der Wirkung des Feuers keinen Begriff hat. Vor einigen Jahren kroch ein solcher Unglücklicher im Winter, in der Nähe von Oxford, auf einen Kalkofen und verbrannte, von den Füssen aufwärts, auf eine schreckliche Weise. Dies ist der eigentliche Zusammenhang zwischen Branntwein und Verbrennen. Was erzählt wird von Flammen, die aus dem Halse Betrunkener herausschlagen, ist Alles völlig unwahr, Niemand hat dergleichen Flammen je gesehen, immer hat es der Erzähler von einem anderen Erzähler gehört; richtig ist nur, dass mitleidige Strassenjungen besinnungslos betrunkenen, in Strassenecken liegenden Menschen, um den inneren Brand zu ersticken, wozu Mistjauche besonders wirksam sein soll, dieses Arzeneimittel zuweilen applicirten.

Genaue, für diesen Zweck angestellte Versuche beweisen, dass Luft, welche bei der menschlichen Körperwärme mit Weingeistdampf ganz gesättigt ist, sich selbst unter diesen allergünstigen Verhältnissen nicht anzünden lässt, und nicht mit Flamme brennt.

Bei dem Ausbrechen eines Feuers oder eines Brandes in einem Zimmer oder Haus haben der Besitzer oder die Beamten der Versicherungsanstalten, in der Regel, das grösste Interesse, zu erfahren, wie das Feuer entstanden ist und wer es angelegt hat. In der Mehrzahl der

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_206.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)