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Bestandtheilen des Blutes verbindet, beruht. Eine gewisse Menge Sauerstoff tritt aus der Luft in das Blut, an die Stelle dieses Sauerstoffs empfängt die Luft ein in der Regel etwas kleineres Volum kohlensaures Gas.

Der Kohlensäuregehalt der ausgeathmeten Luft ist nach den Untersuchungen von Prout bei völliger Gemüthsruhe, bei mässiger Bewegung und bei niedrigem Barometerstand grösser; im Allgemeinen vermindert sich der procentische Gehalt der Luft an dieser Säure bei raschem und häufigem Athemholen, aber die ganze Quantität der in einer gegebenen Zeit ausgeathmeten Kohlensäure ist in letzterem Fall weit grösser. Nach den hierüber angestellten Beobachtungen hat man gefunden, dass bei 6 Athemzügen in der Minute die ausgeathmete Luft 5,7 Procent, bei 12 Athemzügen 4,1, bei 24 Athemzügen 3,3, bei 48 Athemzügen 2,9 Procent kohlensaures Gas enthält; in 6 Ausathmungen in der Minute betrug die Menge der ausgeathmeten Kohlensäure 11 Cubikzoll (171 Cubikcentimeter); diese Quantität stieg bei 12 Ausathmungen auf 25⅓ Cubikzoll (396 Cubikcentimeter), bei 48 Ausathmungen auf 44½ Cubikzoll (696 Cubikcentimeter). (Vierordt.)

Der Einfluss der stärkeren rascheren Athembewegungen auf den Respirationsprocess ist hiernach evident, durch sie wird in einer gegebenen Zeit eine mächtigere Ausscheidung der Kohlensäure oder Entkohlung des Blutes bewirkt.

Es ist kaum zu bezweifeln, dass mit der Zunahme oder Abnahme der Kohlensäure die Menge des in das Blut übergehenden Sauerstoffs im Verhältniss steht, dass mithin das Blut in eben der Zeit mehr Sauerstoff empfängt als es mehr Kohlensäure an die Luft abgiebt.

Das mit Luft geschüttelte Blut nimmt aus derselben über 10 Procent von seinem Volum Sauerstoffgas auf, und es kann dieses Gas durch Schütteln mit überschüssigem kohlensaurem Gas sehr nahe vollständig wieder ausgetrieben werden. Wird das mit Kohlensäure gesättigte Blut mit Luft geschüttelt, so tritt jetzt Kohlensäure aus, an deren Platz wieder Sauerstoff aufgenommen wird, der durch Kohlensäuregas in gleicher Weise verdrängt werden kann. [1]

  1. Ueber die Form, in welcher der absorbirte Sauerstoff in dem Blute enthalten ist, stehen sich zwei Ansichten entgegen; die eine Ansicht betrachtet die Abscheidbarkeit des Sauerstoffgases durch überschüssiges kohlensaures Gas als einen schlagenden Beweis, dass dieser Sauerstoff nicht chemisch mit dem Blute verbunden, sondern nur absorbirt in ihm enthalten sei, aber dieser Ausdruck für diese Erscheinung ist entschieden unrichtig. Während nämlich 1000 Volum Wasser mit Luft geschüttelt und vollständig damit gesättigt nur 9¼ Volum Sauerstoff und 18½ Volum Stickgas (Gay Lussac) absorbiren, nehmen 1000 Volum Blut nach den vortrefflichen Versuchen von Magnus 100 bis 130 Volum Sauerstoff und nur 17 bis 33 Volum Stickgas auf. Es ist hiernach einleuchtend, dass das von dem Blute absorbirte Sauerstoffgas nur zu einem Theile in der Flüssigkeit absorbirt enthalten sein kann; denn die Flüssigkeit im Blute ist Wasser, von dem wir wissen, dass es in gleichen Verhältnissen elf- bis vierzehnmal weniger Sauerstoffgas absorbirt; wir müssen im Gegentheil annehmen, dass die grössere Absorptionsfähigkeit bedingt ist durch gewisse Bestandtheile desselben, welche zu dem Sauerstoff mehr Verwandtschaft als das Wasser besitzen. Der Grad der Anziehung, mit welcher der Sauerstoff in der Verbindung, die er im Blute eingeht, zurückgehalten wird, ist sehr gering, aber dies ist kein Grund zu glauben, derselbe sei nicht chemisch damit verbunden. Wir können die Absorbtionsfähigkeit des Wassers für viele Gase erhöhen, wenn wir demselben Materien zusetzen, welche zu dem Gas eine wenn auch noch so schwache chemische Verwandtschaft besitzen; wenn wir dem Wasser z. B. phosphorsaures Natron zusetzen, so nimmt dessen Absorptionsvermögen für kohlensaures Gas zu; bei einem Gehalte von 1 Procent von diesem Salze nimmt diese Flüssigkeit jetzt doppelt so viel kohlensaures Gas auf, als das reine Wasser für sich unter gewöhnlichem Luftdruck aufgenommen haben würde. Eine Lösung von Eisenvitriol im Wasser nimmt bis vierzigmal mehr Stickoxyd auf als reines Wasser. Aus beiden Flüssigkeiten entweichen die aufgenommenen Gase im luftleeren Raum, ja sie lassen sich daraus wieder austreiben, aus der ersteren durch blosses Schütteln mit Luft, aus der anderen beim Schütteln mit kohlensaurem Gas. Niemand denkt daran, dieses Verhalten, welches dem des Blutes so ähnlich ist, als einen Beweis anzusehen, dass die Kohlensäure in der Lösung des phosphorsauren Natrons, oder das Stickoxydgas in der Lösung des Eisenvitriols nur absorbirt und nicht in einer chemischen Verbindung enthalten sei, weil man weiss, dass das Auflösungsvermögen des Wassers in diesen Fällen abhängig ist von der Menge der aufgelösten Salze. Wenn aber die Menge des absorbirten Gases in einem bestimmten Verhältnisse zunimmt mit dem Salzgehalt der Lösung, so ist es vollkommen gewiss, dass dessen Absorption abhängig ist von dem Salze und nicht von dem Wasser. Es giebt zwei Ursachen, von welchen die Absorption eines Gases oder das Absorptionsvermögen einer Flüssigkeit abhängig ist; die eine derselben ist ein Druck auf das Gas, welches sich in Berührung mit einer Flüssigkeit befindet, dies ist eine äussere Ursache, die andere ist eine chemische Anziehung, welche von den Theilen oder Bestandtheilen einer Flüssigkeit aus wirkt. In allen den Fällen, in welchen ein Gas in einer Flüssigkeit nicht in einer chemischen Verbindung, sondern nur absorbirt enthalten ist, ist die Menge des absorbirten Gases lediglich abhängig von dem äusseren Druck, sie nimmt ab und zu, wie dieser Druck steigt oder abnimmt. Wenn in den erwähnten Fällen die Lösung des phosphorsauren Natrons bei gewöhnlichem Luftdruck durch Schütteln mit Kohlensäure mit diesem Gas gesättigt worden ist (und doppelt so viel Kohlensäure aufgenommen hat, wie Wasser bei gewöhnlichem Luftdruck aufnimmt), so nimmt, wenn der Druck verdoppelt wird, das Absorptionsvermögen der Lösung nicht in gleichem Verhältniss, sondern in einem weit kleineren Verhältnisse zu; die gesättigte Lösung des phosphorsauren Natrons verhält sich jetzt gegen kohlensaures Gas unter doppeltem Druck wie Wasser, welches bei einfachem mit Kohlensäure gesättigt worden ist, die Zunahme der Kohlensäure-Absorption ist für sie nicht stärker wie für reines Wasser, weil die chemische Anziehung, welche im Anfang das Absorptionsvermögen des Wassers erhöhte, nicht fortwirkt, sondern mit ihrer Wirkung (der Hervorbringung einer chemischen Verbindung) aufhört eine zweite Wirkung hervorzubringen. In gleicher Weise verhält sich die mit Stickoxydgas gesättigte Auflösung des Eisenvitriols gegen dieses Gas bei höherem Druck. Wenn 100 Volum einer solchen Auflösung bei einfachem Druck mit 100 Volum Stickoxydgas gesättigt sind, so absorbirt dieselbe Flüssigkeit bei zweifachem Druck nicht 100 Volum mehr von diesem Gas, sondern nur 10 Volum, nicht mehr wie reines Wasser unter denselben Umständen aufnimmt. Mit diesen Flüssigkeiten in vollkommenster Uebereinstimmung verhält sich das Blut. Wäre der Sauerstoff im Blute nur absorbirt zugegen, so müsste das Blut, wenn es aus Luft, welche nur ⅕ Sauerstoff enthält, 12 Procent Sauerstoff aufnimmt, unter doppeltem Druck die doppelte, unter dreifachem Druck die dreifache Menge, und mit reinem Sauerstoffgas geschüttelt nahe die fünffache aufnehmen. So lange der Beweis nicht geführt ist, dass das Auflösungsvermögen des Blutes für den Sauerstoff in dieser Weise mit dem Drucke wechselt, muss angenommen werden, dass die Ursache der Absorption desselben vom Blute bedingt ist durch eine chemische Anziehung, durch deren Wirkung eine chemische Verbindung im Blut gebildet wird. Die Versuche von Regnault und Reiset, in welchen Thiere in weit sauerstoffreicherer Luft athmeten, so wie der Umstand, dass in grossen Höhen, welche wie die Hochebenen Centralamerika’s bewohnt sind, der Athmungsprocess in derselben Weise vor sich geht wie am Ufer des Meeres, beweisen, dass die von dem Blute aufnehmbare Sauerstoffmenge eine constante Grösse und bis zu einer gewissen Grenze unabhängig von dem äusseren Drucke ist. In der Umgebung des Titicaca-See’s wohnen in der Stadt Puno in einer Höhe von 12000 Fuss über dem Meere 15000 Menschen. Die Stadt Potosi in Bolivia in einer Höhe von 12600 Fuss hat 30000 Bewohner; in diesen Gegenden athmen die Menschen kaum mehr als ⅔ der absoluten Menge Sauerstoff ein, welche mit jedem Athemzuge an dem Ufer des Meeres in die Lunge tritt, und es ist von selbst klar, dass, wäre die Menge des absorbirten Sauerstoffgases in gleichem Verhältniss verschieden, eine solche Aenderung einen wesentlichen Einfluss auf die Lebensfunctionen äussern würde, welcher nicht unbemerkt hätte bleiben können. WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt
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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 229. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_229.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)