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Die bewunderungswürdigen Versuche von Boussingault zeigen, dass die Zunahme des Körpergewichts in der Mästung der Thiere (ähnlich wie der Milchertrag einer Kuh) im Verhältniss steht zu der Menge von plastischen Bestandtheilen in dem täglich verzehrten Futter. Diese Versuche wurden mehrere Monate lang mit Schweinen angestellt, welche in vorzüglichem Grade die Fähigkeit besitzen, die Bestandtheile der Nahrung in Theile ihres Leibes umzuwandeln. Ein Schwein wurde ausschliesslich mit Kartoffeln ernährt, durch welche Nahrung es an Gewicht nicht zunahm; es war aber eine Zunahme bemerklich, wenn das Thier Kartoffeln, Buttermilch, Molken und Abfälle aus der Haushaltung erhielt; die stärkste Zunahme fand statt bei Darreichung von Mastfutter, welches täglich aus Kartoffeln (9,74 Pfd.), gemahlenem Korn (0,90 Pfd.), Roggenmehl (0,64 Pfd.), Erbsen (0,68 Pfd.) und Buttermilch, Molken und Abfällen (0,92 Pfd.) bestand.

Die Berechnung ergiebt, dass das Schwein in diesen drei Zuständen folgende Mischungsverhältnisse in seinem Futter empfangen hatte[1]:

Verhältniss
der plastischen Bestandtheile zu den stickstofffreien, letztere in Stärkmehl ausgedrückt.
Das Schwein erhielt:
plastische Bestandtheile. stickstofffreie.
in der Kartoffelnahrung auf 10 87
in der gemischten Nahrung 10 71
im Mastfutter 10 55

Man bemerkt leicht, dass diese letztere Mischung ein ähnliches Verhältniss von plastischen und stickstofffreien Bestandtheilen enthält wie die Körnerfrüchte.

Die deutsche Landwirthschaft ist durch die Erfahrung auf ein sehr einfaches Verfahren geführt worden, die Kartoffeln in ein dem obigen und den Körnerfrüchten in ihrer Mischung ganz gleiches Mastfutter zu verwandeln. Dieses Verfahren ist die Grundlage des deutschen landwirthschaftlichen Betriebes; es besteht darin, dass man die stickstofffreien Bestandtheile der Kartoffeln auf einem rein chemischen Wege ganz oder zum grössten Theil hinwegnimmt, und dass man den Rückstand der Kartoffeln, welcher alle plastischen Bestandtheile derselben enthält, zur Mästung verwendet. Die Kartoffeln werden gequellt und in Gestalt eines dünnen Breies mit Gerstenmalz in Berührung gebracht, durch dessen Wirkung das Stärkemehl der Kartoffeln in Zucker übergeführt wird. Man versetzt alsdann durch Bierhefe die Kartoffelmaische in Gährung und zerstört in dieser Weise allen vorhandenen Zucker. Durch Destillation der gegohrenen Maische erhält man das Stärkmehl der Kartoffeln in der Form von Branntwein und in dem Rückstande (der sog. Kartoffelschlempe) das geschätzteste Mastfutter.

Die im Auslande verbreitete Meinung, dass der deutsche Landwirth Branntweinbrenner ist des Branntweins wegen, ist ganz irrig; er brennt Branntwein, um das ihm unentbehrliche Mastfutter auf die ökonomischste Weise zu gewinnen.

  1. Ann. de. chim. et de phys. N. S. T. XIV. p. 419.
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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_253.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)