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es ist ausnehmend wahrscheinlich, dass auch in Beziehung auf ihre relativen Mengen ein constantes Verhältniss besteht.

Wir haben demnach alle Hoffnung, dass wir durch eine sehr einfache chemische Operation im Stande sein werden, von dem Harn rückwärts zu bestimmten Schlüssen auf die Beschaffenheit und Zusammensetzung des Blutes zu gelangen, und es bedarf nur einer kleinen Anzahl von vergleichenden Untersuchungen des Harns und Blutes in den verschiedenen Krankheiten, um die Krankheitslehre mit einem, in der Sicherheit seiner Anzeigen unschätzbaren Mittel zu bereichern, durch dessen Hülfe der Arzt die Veränderungen in der Zusammensetzung des Blutes in Krankheiten feststellen, und deren Einfluss auf die Functionen des Blutes und damit auf die wichtigsten vitalen Vorgänge beurtheilen kann.

Es gehören nicht viel chemische Kenntnisse dazu, um einzusehen, dass die Ermittelung des Gesetzes der Abhängigkeit der Functionen und Beschaffenheit des Blutes von der Natur und Quantität der unverbrennlichen Bestandtheile desselben, der unterste Stein der Grundlage der Medicin und Physiologie, und dass es vollkommen thöricht ist, vor der Legung dieses Steins, welcher die Lösung aller Fragen der thierischen Oekonomie trägt, an eine rationelle Heilwissenschaft nur zu denken. Für den Chemiker ist es ganz unmöglich, zu verkennen, dass die alkalische Beschaffenheit des Blutes eine der ersten und wichtigsten Bedingungen des organischen Verbrennungsprocesses, der Wärmequelle und des Stoffwechsels ist.

Eine Menge organischer Verbindungen empfangen bei Berührung oder in Gegenwart von freiem Alkali das Vermögen, sich mit Sauerstoff zu verbinden (zu verbrennen), was sie für sich oder bei gewöhnlicher Temperatur oder bei der Temperatur des thierischen Körpers durchaus nicht besitzen. (Chevreul.) Ganz besonders in die Augen fallend beobachtet man den Einfluss des Alkali’s an solchen Stoffen, welche gefärbt sind und unter diesen Umständen entfärbt werden, oder an farblosen, die sich färben, indem sie zerstört werden. Der Carmin, der dauerhafteste organische Farbstoff, den wir kennen, die Farbstoffe des Campeche- und Brasilienholzes, der Blutfarbstoff lösen sich in Kalilauge und erhalten sich monatelang unverändert; aber in dem Augenblick, wo man Luft oder Sauerstoffgas zu dieser Mischung treten lässt, wird dieses Gas mit Schnelligkeit absorbirt und diese Farbstoffe zerstört. (Chevreul.)

Die farblose Auflösung von Pyrogallussäure oder Gallussäure färbt sich in ihrer alkalischen Lösung bei Sauerstoffzutritt (s. S. 228) dunkelroth und wird in wenigen Minuten zerstört. Selbst der Alkohol oxydirt sich, wenn er ein freies Alkali enthält, bei gewöhnlicher Temperatur und färbt sich braun.

Der Milch- und Traubenzucker entziehen bei Gegenwart einer alkalischen Base in gelinder Wärme selbst Metalloxyden ihren Sauerstoff (s. S. 245).

Eine ganz ähnliche Wirkung bringen die Alkalien im Blute hervor, sie vermitteln und erhöhen die Verbrennlichkeit der Respirationsmittel.

Auf eine entscheidende Weise zeigt sich der Einfluss der Alkalien in dem Verhalten der Salze der organischen Säuren in dem Kreislauf

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_271.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)