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Gallussäure, werden unter diesen Umständen im Blute des Menschen unverbrennlich. Die genossene Gallussäure ist besonders leicht im Harn an der Eigenschaft zu erkennen, mit Eisenoxydsalzen eine dintenschwarze Flüssigkeit zu bilden.

Der Grund dieser Unverbrennlichkeit ist der Mangel an dem die Wirkung des Sauerstoffs bedingenden freien Alkali.

Das Blut des Menschen (und des Hundes, mit welchem eine grosse Anzahl dieser Versuche angestellt wurden) enthält kein kohlensaures, sondern phosphorsaures Alkali.

Es ist nun ganz gewiss, dass die neutralen pflanzensauren Salze die alkalische Beschaffenheit dieses Blutes nicht ändern, während die freien Säuren bei ihrem Uebergang in das Blut, indem sie sich eines Theils des Alkali’s bemächtigen, eine entsprechende Menge der damit verbundenen Phosphorsäure in Freiheit setzen müssen, welche nicht wie die Kohlensäure gasförmig und ausathembar ist, sondern die ihren Platz im Blute nur dann verlässt, wenn sie durch eine Ursache dazu genöthigt wird. Wir müssen uns denken, dass der Theil des Blutes, zu welchem die Säuren gelangen, seine alkalische Beschaffenheit gänzlich verlor, dass er sogar vorübergehend sauer wurde (eine Beschaffenheit, welche durch die Function der Nieren wieder aufgehoben wurde), und dass in Folge dieses Zustandes die genannten Säuren oder ein Theil derselben in dem Blutkreislauf ihre Veränderlichkeit und Verbrennlichkeit verloren; wäre das Blut, welches die freie Gallussäure aufgenommen hatte, alkalisch geblieben, so würde diese Säure zerstört worden sein; denn ein freies Alkali und Sauerstoff sind völlig unverträglich mit dem Bestehen der Gallussäure.

Die Eigenthümlichkeiten des Blutes des Menschen und der fleischfressenden Thiere, welche durch ihren überwiegenden Gehalt an Phosphorsäure bedingt werden, zeigen sich in dem Secretionsprocess in vollem Lichte. Der chemischen Wirkung des Alkali’s setzt sich in der damit verbundenen Phosphorsäure ein gewisser Widerstand entgegen, welcher in dem Blute des kräuterfressenden Thieres fehlt. Mit der Gegenwart der Phosphorsäure im Blute steht die bleibend saure Beschaffenheit des Harns und die Secretion der Harnsäure, mit der überwiegenden alkalischen Beschaffenheit des Blutes der Kräuterfresser das Verschwinden der Harnsäure in deren Harn in genauester Beziehung.

Der Gehalt an freier Kohlensäure in dem Harn der Pflanzenfresser ist zum grossen Theil durch die Verwandtschaft des kohlensauren Alkali’s zur Kohlensäure bedingt; die Absonderung der freien Säuren in dem Harn der Fleisch- und Körnerfresser ist hingegen offenbar eine nothwendige Bedingung zur Erhaltung der alkalischen Beschaffenheit ihres Blutes.

Wenn wir uns denken, dass diese Absonderung auch nur vorübergehend in Folge einer Störung in der Function der Nieren unterdrückt sei, oder dass durch einen krankhaften rascheren Umsatz in den Gebilden (Entzündung, Fieber) die in diesen Theilen gebundene Phosphorsäure frei wird und zu dem Blute tritt, so muss die Aenderung in der alkalischen Beschaffenheit des Blutes sich sogleich durch vermehrte Secretion von Harnsäure und durch eine Aenderung des Respirationsprocesses zu erkennen geben.

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 273. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_273.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)