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Das Kreatin ist, was man eine indifferente Substanz nennt, in dem Sinne jedoch nur, dass es weder die Rolle einer Säure, noch die einer Basis spielt.

Das Kreatinin hingegen, welches in viel kleinerer Menge als das Kreatin in der Fleischbrühe vorkommt, ist eine starke organische Basis; es reiht sich der Classe der stickstoffhaltigen organischen Basen des Pflanzenreiches an, zu welcher die furchtbarsten Gifte und wirksamsten Arzneien gehören; es reagirt alkalisch und bildet mit Säuren krystallisirbare Salze; es findet sich nur in thierischen Organismen. Kreatin und Kreatinin sind Producte des Lebensprocesses und Bestandtheile des Fleisches aller bis jetzt untersuchten Wirbelthiere. Das Fleisch des Menschen ist besonders reich an Kreatin. Beide Stoffe stehen in einer sehr engen Beziehung zu einander; sie enthalten dieselben Elemente, bis auf Wasserstoff und Sauerstoff, in dem nämlichen Verhältniss; das Kreatin enthält aber die Elemente von 4 Aeq. Wasser mehr als das Kreatinin; beide können das eine in das andere verwandelt werden. Bei Berührung des Kreatins mit einer starken Säure trennen sich 4. Aeq. Wasser von seinen Elementen und es entsteht Kreatinin, welches einen Theil der Säure neutralisirt. Letzteres nimmt bei der Abscheidung aus seiner Verbindung mit Chlor-Zink Wasser auf und geht rückwärts in Kreatin über [1]. (Heintz.)

Das Vorkommen dieser beiden Körper, so wie das eben erwähnte merkwürdige Verhalten lässt vermuthen, dass sie für den Lebensprocess Bedeutung besitzen, und es scheint namentlich mit dem Uebergang des Kreatins in Kreatinin eine Wirkung verbunden zu sein.

Aus der Fleischflüssigkeit (von Ochsenherz) hat man durch Destillation mit Schwefelsäure noch geringe Mengen an flüchtigen Säuren, Buttersäure, Essigsäure, Ameisensäure, und aus dem Rückstand Inosit (Scherer) einen stickstofffreien Körper erhalten, der in seiner Zusammensetzung dem Milchzucker gleicht und in den unreifen Bohnen (Phaseolus vulgaris) im Pflanzenreiche vorkommt, aber in vielen Eigenschaften von demselben verschieden ist; die Fleischbrühe enthält ferner eine der Milchsäure ebenfalls sehr ähnliche, aber in ihren Salzen abweichende stickstofffreie, und in der Inosinsäure (namentlich in der Fleischflüssigkeit des Huhnes) eine stickstoffhaltige Säure.

Alle diese Substanzen machen nur einen kleinen Theil des Fleischextractes aus; die bei weitem grössere Masse desselben besteht aus unkrystallisirbaren Verbindungen, deren Eigenschaften noch nicht hinlänglich studirt sind, so dass man die Mittel noch nicht kennt, um sie von einander zu scheiden. Zu diesen gehören namentlich die schmeckenden Bestandtheile des Fleischsaftes und die unter ihnen, welche in gelinder Wärme sich so leicht bräunen, sodann eine Substanz, welche mit dem Leime die Eigenschaft theilt, in dicken zusammenklebenden Flocken von Gerbstoff oder einem Auszuge von Galläpfeln gefällt zu werden. In dem ausgelaugten Fleischrückstande lässt sich keine Harnsäure und in dem wässerigen

  1. In einer nicht ganz reinen Kreatininlösung, welche mehrere Monate lang in einem Schranke stand, verwandelte sich allmählich alles Kreatinin in Kreatin, welches in einem einzigen schönen grossen Krystall sich absetzte; eine schwache Schimmelbildung fand nebenbei statt.
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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 285. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_285.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)