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geben zu erkennen, dass die Bedingungen, welche das Dasein und die Fortdauer der Seepflanzen sichern, die nämlichen sind, welche das Leben der Landpflanzen vermitteln.

Die Landpflanze lebt aber nicht wie die Seepflanze in einem Medium, das alle ihre Elemente enthält und jeden Theil ihrer Organe umgiebt, sondern sie ist auf zwei Medien angewiesen, von denen das eine (der Boden) die Bestandtheile enthält, die dem anderen (der Atmosphäre) fehlen.

Wie ist es möglich, kann man fragen, dass man jemals über den Antheil, den der Boden, den seine Bestandtheile an dem Gedeihen der Pflanzenwelt nehmen, in Zweifel sein konnte? dass es eine Zeit gab, wo man die mineralischen Bestandtheile der Pflanze nicht als wesentlich und nothwendig betrachtete? Auch an der Oberfläche der Erde hat man ja den nämlichen Kreislauf beobachtet, einen unaufhörlichen Wechsel, eine ewige Störung und Wiederherstellung des Gleichgewichts. Die Erfahrungen in der Agricultur geben zu erkennen, dass die Zunahme an Pflanzenstoff auf einer gegebenen Oberfläche wächst mit der Zufuhr an gewissen Stoffen, ursprünglich Bestandtheilen der nämlichen Bodenoberfläche, die von der Pflanze daraus aufgenommen worden waren: die Excremente der Menschen und Thiere stammen ja von den Pflanzen, es sind ja gerade die Materien, welche in dem Lebensprocess der Thiere, oder nach ihrem Tode die Form wieder erhalten, die sie als Bodenbestandtheile besassen. Wir wissen, dass die Atmosphäre keinen dieser Stoffe enthält und keinen ersetzt; wir wissen, dass ihre Hinwegnahme von dem Acker eine Ungleichheit der Production, einen Mangel an Fruchtbarkeit nach sich zieht, dass wir durch Hinzuführung dieser Stoffe die Fruchtbarkeit erhalten, dass wir sie vermehren können.

Kann man nach so vielen, so schlagenden Beweisen über den Ursprung der Bestandtheile der Thiere und der Bestandtheile der Pflanzen, den Nutzen der Alkalien, der phosphorsauren Salze, des Kalkes den kleinsten Zweifel über die Principien hegen, auf welchen die rationelle Agricultur beruht?

Beruht denn die Kunst des Ackerbaues auf etwas anderem, als auf der Wiederherstellung des gestörten Gleichgewichts? Ist es denkbar, dass ein reiches, fruchtbares Land mit einem blühenden Handel, welches Jahrhunderte lang die Producte seines Bodens in der Form von Vieh und Getreide ausführt, seine Fruchtbarkeit behält, wenn der nämliche Handel ihm nicht die entzogenen Bestandtheile seiner Aecker, welche die Atmosphäre nicht ersetzen kann, in der Form von Dünger wieder zuführt?

Muss nicht für dieses Land der nämliche Fall eintreten, wie für die einst so reichen fruchtbaren Gegenden Virginiens, in denen kein Weizen und kein Tabak mehr gebaut werden kann?

In Englands grossen Städten werden die Producte der englischen und überdies noch fremder Agricultur verzehrt; die den Pflanzen unentbehrlichen Bodenbestandtheile von einer ungeheuren Oberfläche kehren aber nicht auf die Aecker zurück. Einrichtungen, welche in den Sitten und Gewohnheiten des Volkes liegen und diesem Lande eigenthümlich sind, machen es schwierig, vielleicht unmöglich, die unermessliche Menge der phosphorsauren Salze (der wichtigsten, wie wohl in dem Boden in kleinster Menge enthaltenen Mineralsubstanzen) zu sammeln, welche

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 319. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_319.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)