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der Schlamm herausgezogen und auf Haufen sich selbst, d. h. der Wirkung der Luft und Feuchtigkeit überlassen. Nach der Natur des Waschprocesses, dem es unterworfen war, kann dieses feinzertheilte Gestein keinen löslichen Bestandtheil mehr enthalten; die löslichen sind ja beim Schlämmen durch den Wasserstrom hinweggeführt worden. Mit dem Wasser bedeckt, also beim Abschluss der Luft, auf dem Boden des Teiches erlitt der Schlamm keine Veränderung, allein der Luft und Feuchtigkeit gleichzeitig ausgesetzt, stellt sich eine mächtige chemische Action in seiner ganzen Masse ein, die sich durch Auswitterung reichlicher Salzefflorescenzen, welche die Oberfläche bedecken, zu erkennen giebt. Nach einer zwei- bis dreijährigen Aussetzung wird der Schlämmprocess mit diesem hartgewordenen Schlamm wiederholt, und so sechs- bis siebenmal, wo man stets, wiewohl in abnehmendem Verhältniss, neue Quantitäten Gold daraus gewinnt, welche durch den chemischen Process der Verwitterung blossgelegt, d. h. ausscheidbar wurden. Es ist dies die nämliche chemische Action, die in der Ackererde vor sich geht, die wir durch die mechanischen Operationen des Feldbaues steigern und beschleunigen. Wir erneuern die Oberfläche und suchen jeden Theil der Ackerkrume der Wirkung der Kohlensäure und des Sauerstoffs zugänglich zu machen. Wir verbreiten damit den Ueberschuss von mineralischen Nahrungsmitteln, der sich an einem Orte befindet, an andere hin, wo daran Mangel ist, so dass die neue Generation von Pflanzen überall die zu ihrem Gedeihen nothwendige Nahrung findet.



Fünfunddreissigster Brief.


Der Inhalt meines letzten Briefes dürfte Ihnen einige Aufklärung verschafft haben über die allgemeinen Principien, auf welchen die Kunst des Ackerbaues beruht; es bleibt mir jetzt noch übrig, Ihre Aufmerksamkeit auf einige besondere Verhältnisse zu lenken, welche mir vorzugsweise geeignet erscheinen, auf eine überzeugende Weise darzuthun, wie innig der Zusammenhang zwischen Agricultur und Chemie, und wie unmöglich es ist, in dieser wichtigsten aller Künste Fortschritte zu machen, ohne mit den Principien der Chemie vertraut zu sein.

Alle Culturpflanzen bedürfen der Alkalien, der alkalischen Erden, eine jede in einem gewissen Verhältniss; die Getreidearten gedeihen nicht, wenn in dem Boden Kieselsäure in löslichem Zustande mangelt. Die in der Natur vorkommenden Silicate unterscheiden sich durch die grössere oder geringere Verwitterbarkeit, durch den ungleichen Widerstand, den ihre Bestandtheile der auflösenden Kraft der atmosphärischen Agentien entgegensetzen, sehr wesentlich von einander. Der Granit von Corsica zerfällt zu Pulver in einer Zeit, wo der polirte Granit der Bergstrasse seinen Glanz noch nicht verliert.

Es giebt Bodenarten, die an leicht verwitterbaren Silicaten so reich sind, dass nach einem oder zwei Jahren so viel kieselsaures Kali löslich

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 326. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_326.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)