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bei der Kohle ist es eine chemische Anziehung, die von der Oberfläche ausgeht, aber bei der Ackererde nehmen ihre Bestandtheile an ihrer Wirkung Theil, und sie ist deshalb in vielen Fällen eine ganz andere.

Kali und Natron stehen sich bekanntlich in ihrem chemischen Verhalten ganz ausserordentlich nahe, und auch ihre Salze haben viele Eigenschaften mit einander gemein. Chlorkalium z. B. hat dieselbe Krystallgestalt wie Kochsalz, in Geschmack und Löslichkeit sind sie wenig verschieden. Ein Ungeübter unterscheidet beide kaum, aber die Ackerkrume unterscheidet sie vollkommen.

Wenn man einer verdünnten Chlorkalium-Lösung gepulverte Ackererde zusetzt, so tritt sehr bald ein Zeitpunkt ein, wo kein Kalium mehr in Lösung bleibt. Dieselbe Menge Erde entzieht einer Kochsalzlösung von gleichem Chlorgehalt noch nicht die Hälfte Natrium. Bei dem Kalium fand mithin ein Austausch statt, bei dem Natrium nur zum Theil. Das Kali ist ein Bestandtheil aller unserer Landpflanzen, das Natron findet sich nur ausnahmsweise in den Aschen. Bei schwefelsaurem und salpetersaurem Natron wird von dem Natron nur ein Theil zurückgehalten, bei schwefelsaurem und salpetersaurem Kali bleibt alles Kali in der Erde zurück. Besonders zu diesem Zweck angestellte Versuche haben gezeigt, dass 1 Litre = 1000 Cub.-Centimeter Gartenerde (reich an Kalk) das Kali aus 2025 Cub.-Cent. kieselsaurer Kalilösung aufnehmen, welche auf 1000 Cub.-Cent. 2,78 Gramm Kieselsäure und 1,166 Gramm Kali enthielt, und es berechnet sich hieraus, dass eine Hectare Feld von derselben Beschaffenheit auf ¼ Meter (= 10 Zoll) Tiefe einer gleichen Lösung über 10,000 Pfund Kali entziehen und für den Bedarf der Pflanzen festhalten würde. Ein in gleicher Weise angestellter Versuch mit einer Auflösung von phosphorsaurem Bittererde-Ammoniak in kohlensaurem Wasser zeigte, dass eine Hectare Feld 5000 Pfund von diesem Salz einer solchen Lösung entziehen würde. Ein Lehmboden (arm an Kalk) verhielt sich auf gleiche Weise.

Dies giebt einen Begriff von der mächtigen Wirkung der Ackererde, von der Stärke ihrer Anziehung gegen drei Hauptnahrungsstoffe unserer Culturpflanzen, die für sich bei ihrer grossen Löslichkeit in reinem und kohlensaurem Wasser, besässe die Ackererde diese Eigenschaft nicht, im Boden nicht erhalten werden könnten.[1]

  1. Diese Versuche sind so einfach und leicht auszuführen, dass sie sich zu Collegienversuchen eignen. Zu beachten dabei ist, dass sich beim Durchfiltriren leicht Canäle bilden, durch welche die vollständige Berührung der Flüssigkeit mit der Erde verhindert wird; es ist deshalb nöthig sehr verdünnte Auflösungen zu nehmen, von dem kieselsauren Kali, Chlorkalium u. s. w. 1 Theil Substanz auf 500 Wasser. Die andern, wie phosphorsaurer Kalk in kohlensaurem Wasser, können in gesättigter Lösung verwendet werden. Meistens zeigt in dem ersten Filtrat bei letztern Salzen die Molybdänsäureprobe schon keine Phosphorsäure mehr an; beim einfachen Mischen einer Bodenart mit einer auf Kurkuma deutlich alkalisch reagirenden Lösung von kieselsaurem Kali verliert dieselbe augenblicklich diese Reaction. Was die Thatsachen selbst betrifft, so wurde das Absorptionsvermögen der Ackererde im Allgemeinen zuerst von Joh. Ph. Bronner, für Ammoniak von Thompson, das für Phosphorsäure und einige Kalisalze von Way beobachtet, aber weder die Pflanzenphysiologie, noch die wissenschaftliche Agricultur hatte bis dahin von diesen merkwürdigen, für die Physiologie und den Ackerbau so folgenreichen Entdeckungen der englischen Chemiker Notiz genommen.
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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 351. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_351.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)