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Mehrerträge vorhanden und dass der Zeit nach mehr Bodenbestandtheile aufnehmbar und wirksam geworden sind.

Immer und in allen Fällen stehen die Erträge und ihre Dauer im Verhältniss zu der Summe der im Boden vorhandenen zur Ernährung geeigneten fixen Nahrungsmittel.

Die Höhe der Erträge steht im Verhältniss zur Schnelligkeit der Wirkung der Bodenbestandtheile in der Zeit, d. h. zu dem Theil der Summe, welche jährlich von dem Boden aus in die Pflanze übergeht.

Wenn demnach ein Feld so viel fixe Pflanzennahrungsmittel enthält, dass es ohne allen Ersatz derselben in 100 Jahren 100 mittlere, d. h. lohnende Weizenernten liefern kann und nicht mehr, so ist dasselbe nach dieser Zeit vielleicht noch reich genug für ein anderes Gewächs, allein in landwirthschaftlichem Sinne ist es kein Weizenboden mehr.

Wenn wir nun durch eine weiter getriebene mechanische Bearbeitung des Bodens oder durch chemische Mittel wie Chilisalpeter, Kochsalz und Ammoniaksalze die Wirkung der vorhandenen fixen Nahrungsstoffe beschleunigen, so wird das Feld vielleicht in 50 Jahren eben so viel Korn und Stroh liefern, als es ohne diese Mittel in 100 Jahren geliefert haben würde, und das Feld würde in der halben Zeit für die Weizencultur erschöpft sein.

Durch Anwendung solcher Mittel erzeugt das Feld im Ganzen nicht mehr, aber in der Zeit mehr.

Wenn der Landwirth die Bedingungen, von welchen die Dauer seiner hohen Ernten abhängt, nicht im Auge behält und sich auf die Wirkung seiner Arbeit und auf die Anwendung von Chilisalpeter, Ammoniaksalzen und Kochsalz verlässt, ohne gleichzeitig für den Ersatz der in den Ernten dem Boden entzogenen Bestandtheile Sorge zu tragen, so speculirt er auf den Reichthum seiner Felder, von dem er Nichts weiss und über dessen Grösse ihm Niemand Aufschluss geben kann; er eignet sich im Voraus den Gewinn an, der ihm in späteren Jahren sicherlich zugefallen wäre, und der einzige Unterschied zwischen ihm und dem Actienspeculanten auf Eisenbahnunternehmungen ist in der Regel der, dass ihn oder seine Nachkommen die Strafe für seine thörichten Handlungen unzweifelhaft ereilt, welcher der Actienspeculant zuweilen entgeht, indem er sie Andern zuwendet. Es kann auf manchen Feldern die scheinbar gewinnreiche Anwendung dieser Mittel lange dauern, ehe der Landwirth den Schaden gewahr wird, den er sich durch Vernachlässigung des Ersatzes zufügt; allein je länger seine hohen Ernten gedauert haben, desto näher ist er der Grenze, wo sie ein Ende haben müssen.



Zweiundvierzigster Brief.


Die Menge der in der Luft enthaltenen Nahrungsstoffe ist, verglichen mit der Luftmasse, sehr gering.

Wenn man alle Kohlensäure- und Ammoniaktheilchen, die in der Luft zerstreut enthalten sind, sich in einer Schicht um die Erde herum

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 376. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_376.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)