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in sich enthält, und sicherlich würde der Feldbau eine ganz andere Form annehmen, wenn für eine einzige Getreidepflanze eben so viele Samen wie beim Mohn, Tabak und selbst Klee zu Grunde gehen würden.

Auf einem und demselben Boden steht die Menge von Nahrung, die eine Pflanze daraus aufnimmt, im Verhältniss zu ihrer aufsaugenden Wurzeloberfläche; von zwei Pflanzenvarietäten, welche dieselbe Menge und ein gleiches Verhältniss von mineralischer Nahrung bedürfen, nimmt die mit doppelter Wurzeloberfläche doppelt so viel Nahrung auf.

Wenn es wahr ist, dass die Aschenbestandtheile der Gewächse für das Leben und das Gedeihen der Pflanze unentbehrlich sind, so sieht man ein, dass Alles, was auch sonst auf das Wachsthum derselben einen fördernden Einfluss auszuüben vermag, untergeordnet ist dem Gesetz, dass der Boden, um in landwirthschaftlichem Sinn fruchtbar für eine Culturpflanze zu sein, die Aschenbestandtheile des Gewächses in hinlänglicher Menge und in der zur Aufnahme geeignetsten Beschaffenheit enthalten muss.

Mit dem Boden hat es der Landwirth allein zu thun, nur durch den Boden vermag er eine unmittelbare Wirkung auf die Pflanze auszuüben; die Erreichung aller seiner Zwecke auf die vollkommenste und vortheilhafteste Weise setzt voraus die genaue Kenntniss der im Boden wirksamen chemischen Bedingungen des Lebens der Gewächse, ihrer Nahrung und der Quelle, aus der sie stammt, so wie die Bekanntschaft mit den Mitteln, um den Boden für die Ernährung der Pflanze geeignet zu machen, und Uebung und Geschicklichkeit, um sie in der rechten Zeit und richtigen Weise anzuwenden.

Aus den vorhergehenden Auseinandersetzungen ergiebt sich, dass die Cultur der Gewächse den fruchtbaren Boden erschöpft oder unfruchtbar macht; in den Früchten seiner Felder, welche zur Ernährung der Menschen und Thiere dienen, führt der Landwirth einen Theil seines Bodens, und zwar die zu ihrer Erzeugung dienenden wirksamen Bestandtheile desselben aus; fortwährend nimmt die Fruchtbarkeit seiner Felder ab, ganz gleichgültig, welche Pflanzen er baut, und in welcher Ordnung er sie baut. Die Ausfuhr seiner Früchte ist nichts anderes als eine Beraubung seines Bodens an den Bedingungen ihrer Wiedererzeugung.

Ein Feld ist nicht erschöpft für Korn, für Klee, für Tabak, für Rüben, so lange es noch lohnende Ernten ohne Wiederersatz der entzogenen Bodenbestandtheile liefert; es ist erschöpft von dem Zeitpunkt an, wo ihm die fehlenden Bedingungen seiner Fruchtbarkeit durch die Hand des Menschen wiedergegeben werden müssen. Die grosse Mehrzahl aller unserer Culturfelder ist in diesem Sinn erschöpft.

Das Leben der Menschen, Thiere und Pflanzen ist auf das Engste geknüpft an die Wiederkehr aller Bedingungen, welche den Lebensprocess vermitteln. Der Boden nimmt durch seine Bestandtheile Theil an dem Leben der Gewächse; eine dauernde Fruchtbarkeit ist undenkbar und unmöglich, wenn die Bedingungen nicht wiederkehren, die ihn fruchtbar gemacht haben.

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 399. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_399.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)