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Von den beigemengten verbrennlichen Stoffen (von Ammoniaksalzen und der Substanz verwesender Sägespäne) kann die Wiederherstellung der Fruchtbarkeit durch den Stallmist nicht bedingt gewesen sein; wenn diese eine günstige Wirkung hatten, so war sie untergeordneter Natur. Die Wirkung des Stallmistes beruht ganz unzweifelhaft auf seinem Gehalt an den unverbrennlichen Aschenbestandtheilen der Gewächse, die er enthält, und wird durch diese bedingt.

In dem Stallmist empfing das Feld in der That eine gewisse Menge von allen den Bodenbestandtheilen wieder, welche dem Felde in den darauf geernteten Früchten entzogen worden waren; die Abnahme der Fruchtbarkeit des Feldes stand im Verhältniss zu der Beraubung, die Wiederherstellung der Fruchtbarkeit sehen wir im Verhältniss stehen zu dem Ersatz an diesen Bodenbestandtheilen.

Die unverbrennlichen Elemente der Culturgewächse kehren nicht von selbst auf die Felder zurück, wie die verbrennlichen in das Luftmeer, aus dem sie stammen; durch die Hand des Menschen allein kehren die Bedingungen des Lebens der Gewächse auf die Felder zurück; in dem Stallmist, in dem sie enthalten sind, stellt der Landwirth naturgesetzlich die verlorene Ertragsfähigkeit wieder her.

Die rationelle Praxis erhält den Kreislauf aller Bedingungen des Lebens; die empirische Praxis zerreisst die Kette, welche den Menschen an seine Heimath fesselt, indem sie dem Boden eine Bedingung seiner Fruchtbarkeit nach der andern raubt. Obwohl sie weiss, dass der Boden heute anders ist als er gestern war, so glaubt sie dennoch, dass er morgen sein wird was er heute war. Die Empirie, auf die Erfahrung von gestern gestützt, lehrt, dass der fruchtbare Boden unerschöpflich sei; die Wissenschaft, auf das Gesetz gestützt, zeigt, dass die Fruchtbarkeit auch des fruchtbarsten ihr Ende habe, und was unerschöpflich scheine, sei erschöpft. Weil die Natur gütig war und den Vätern vollauf gab, so meint die Empirie, die Söhne dürften sorgenlos und vollauf nehmen. Daran, dass der Mensch eine Heimath habe, und dass der Erdenfleck, den er mit seinem Schweisse benetzt um die Mittel zu seiner Existenz zu gewinnen, seine Heimath ist, knüpft sich die Entwickelung des Menschengeschlechtes. Die Dauer seines Fortbestehens in seiner Heimath hängt ab von dem Gesetz: dass die Kraft im Verbrauche sich verzehrt und im Ersatze sich erhält.



Fünfundvierzigster Brief.


Das Leben und die Entwickelung eines organischen Wesens kann nicht abhängig gedacht werden von Zufälligkeiten; die Aufnahme seiner Nahrung, das Zusammentreten ihrer Bestandtheile zu belebten Gebilden, alle organischen Vorgänge finden wir durch Gesetze der Nothwendigkeit

Empfohlene Zitierweise:
Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 402. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_402.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)