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noch Mist genug haben, glauben ihnen, dass der Brunnen, aus dem sie ihn holen, immer fliessen werde. Wahrlich, wenn dieser Boden schreien könnte wie eine Kuh oder ein Pferd, dem man ein Maximum von Milch oder Arbeit mit dem geringsten Aufwand an Futter abquälen wollte, für diese Landwirthe würde die Erde schlimmer als die Dante’sche Hölle sein! Darum ist der vortheilhafte Betrieb dieser modernen Landwirthschaft nur auf grossen Gütern möglich, denn der Raub hat auf den kleinen bald ein Ende. Hätten sie, anstatt das Leder zu stehlen, das Kalb gepflegt, so wäre vielleicht ein Ochs daraus geworden, und wir wären von der Furcht befreit in Zukunft barfuss zu gehen.

Verzweifeln darf man übrigens noch nicht.

Diese weisen, klugen und erfahrenen Männer haben das Mittel gefunden, der Mistnoth ein Ende zu machen. Dieses Mittel, so lehren sie, bestehe einfach darin, dass man anstatt des verrotteten Stallmistes frischen Stallmist anwenden müsse. Wenn sich die kurzsichtigen, nachlässigen Landwirthe, welche dies noch nicht thun, dazu verstehen wollten, so würden viele Klagen über Mistmangel verstummen.

So sehr man überall über Mangel an Dünger klagt, so sehr man sich sonst Mühe giebt die Vegetation zu steigern, so viel man Futter baut um viel Mist zu machen, so lässt man ihn, wenn er geschaffen, verwahrlost auf der Miststätte liegen. Man darf wohl annehmen, dass in unsern Wirthschaften der Mist höchstens im halbverfaulten Zustand im Durchschnitt ausgeführt wird. Bis der Mist in diesen Zustand kommt, verliert er 25 Procent von seiner Masse, und darunter am meisten den so kostbaren Stickstoff, ich will aber hier die verlorene Masse der zurückgebliebenen im Werthe gleich setzen. Würden sämmtliche Landwirthe ihren Mist möglich frisch anwenden, so dass höchstens 5 Procent davon verloren gingen, so würde die Steigerung unserer Culturpflanzen um 20 Procent steigen. Es würden nicht nur diese 20 Procente der gesammten zur Steigerung verwendeten Pflanzennahrung in Pflanzenstoffe umgewandelt, sondern auch damit weitere aus der Atmosphäre und dem Boden gezogen. (S. 131.)

„Einer Erhöhung der Futterproduction bedarf es aber nicht, so lange wir die Vegetation nicht noch mehr steigern wollen. Daher könnten die 20 Procent des Düngercapitals allein auf die Mehrproduction von Körnern etc. verwendet werden, die daher dem bleibenden Viehstande gegenüber um so grösser würde. Hierdurch würde das Angebot von Körnern grösser, ihr Preis mässiger, und dieser würde mit der Viehproduction sich mehr ins Gleichgewicht setzen. Producenten und Consumenten würden zugleich gewinnen. Es würden aber noch weitere und grössere Vortheile erzielt werden: statt die 20 Procent gewonnenen Mist auf den Körnerbau zu verwenden, könnten aber auch sämmtliche Landwirthe ihren Futterbau um 20 Procent einschränken. Die Körnerproduction bliebe dieselbe, die Viehproduction würde um 20 Procent vermindert, und daher im Preise steigen, während der Körnerpreis derselbe bliebe. Werden die 20 Procent gewonnener Mist zum grössern Theil dem Körnerbau, zum kleinern dem Futterbau zugewendet, so werden Producenten und Consumenten daraus Vortheil ziehen; nur

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 414. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_414.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)