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Auf Tschusan und über die ganze Reisgegend von Tschekiang und Kiangsu werden zwei Pflanzen ausschliesslich zur Gründüngung für den Reis cultivirt, die eine ist eine Species von Coronilla, die andere ist Klee. Breite Balkenfurchen, ähnlich denen zur Selleriecultur, werden aufgeworfen, und der Samen auf die Höhefurchen fleckchenweise, fünf Zoll von einander, eingestreut; in wenig Tagen beginnt die Keimung, und lange ehe der Winter vorüber, ist das ganze Feld bedeckt mit üppiger Vegetation; im April werden die Pflanzen in den Boden eingebracht; es beginnt sehr rasch die Zersetzung derselben, begleitet von einem sehr unangenehmen Geruch. Diese Methode ist überall im Gebrauch, wo Reis gebaut wird. (Fortune, Vol. I, p. 238.)

Diese Mittheilungen, welche der Raum verbietet weiter auszudehnen, dürften genügen, um dem deutschen Landwirth die Ueberzeugung beizubringen, dass seine Praxis gegen die des ältesten ackerbautreibenden Volkes in der Welt sich verhält wie die eines Kindes zu der eines gereiften und erfahrenen Mannes; es ist der Feldbau der Chinesen um so merkwürdiger, und wenn man in’s Auge fasst, was sie auch in andern mechanischen und chemischen Gewerben haben, beinahe um so unbegreiflicher, da sie Alles der reinsten Empirie verdanken; denn die chinesische Unterrichtsmethode schliesst alle und jede Frage nach einem Grund oder einem letzten Grund, was sie zu wissenschaftlichen Grundsätzen und zu einer Wissenschaft hätte führen können, so vollständig seit Jahrtausenden aus, dass in dem Volk die Fähigkeit eines weiteren Fortschritts, ausser durch Nachahmung, bis auf die Wurzel zerstört zu sein scheint. Die Ermittelung oder das Verhältniss von Naturgesetzen, welche den Europäer zu den Dampfmaschinen, den elektrischen Telegraphen und der Beherrschung der Naturkräfte in zahllosen andern Dingen geleitet hat, ist für den chinesischen Gelehrten vollkommen unmöglich; es ist das Gebot ihres ersten und ältesten Religionslehrers, Confutse, dass der Student keinen andern Gedanken in sich aufkommen lassen und denken dürfte, als der in seinen Büchern steht.

Es ist wahr, dass das, was für ein Volk gut ist, nicht für alle Länder und alle Völker passt; aber eine Wahrheit, mächtig und unbesiegbar, geht aus der Kenntniss des chinesischen Ackerbaues hervor, und dies ist: dass die Felder des chinesischen Landwirths ihre Fruchtbarkeit bewahrt und erhalten haben, ungeschwächt und in dauernder Jugend seit Abraham und seit der Zeit, wo die erste Pyramide in Aegypten (in denen man chinesische Porcellangefässe von derselben Form und Schrift findet, wie sie heute noch verfertigt werden) gebaut worden ist, und zwar einzig und allein durch den Ersatz der Bedingungen der Fruchtbarkeit, die man den Feldern in ihren Producten entzogen hat, oder, was das nämliche ist, mit Hülfe, eines Düngers, von dem der grösste Theil dem europäischen Feldbau verloren ist.

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 453. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_453.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)