Seite:De Chemische Briefe Justus von Liebig 463.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


Zum 15. Brief.

Eines der merkwürdigsten Beispiele der Umwandelung der Eigenschaften eines zusammengesetzten unorganischen Körpers ist durch Walter Crum in Glasgow entdeckt worden; er fand nämlich, dass durch anhaltendes Sieden einer Auflösung des essigsauren Thonerdesalzes eine vollständige Trennung der Essigsäure, die sich verflüchtigt, von der Thonerde vor sich geht.

Die Eigenschaften der Thonerde sind allgemein bekannt, sie ist in ihrem gewöhnlichen Zustand unauflöslich in Wasser, leicht löslich in Säuren und Alkalien, sie nimmt aus gefärbten Flüssigkeiten den Farbstoff auf und färbt sich damit.

Die von W. Crum entdeckte Modification der Thonerde löst sich im Wasser, durch verdünnte Säuren und Alkalien wird sie aus der wässerigen Lösung gallertartig gefällt, ohne dass sich Bemerkliches davon auflöst; durch Abkochungen von Farbhölzern entstehen damit nicht undurchsichtige Lack-Niederschläge, sondern durchscheinende gallertartige Fällungen. Durch concentrirte Säuren und Alkalien wird übrigens die in Wasser lösliche Thonerde in die gewöhnliche unlösliche Thonerde zurückgeführt.


Zum 20. Brief.

„Um sich einen Osterbraten zu verschaffen, erzählt Dr. Röser, beauftragte C. in R. die Seinigen, Drahtschlingen zur Erhaschung eines Rehes zu legen. Es fing sich auch wirklich ein solch armes Thier mit dem Hinterleibe in der Schlinge, welche es, glücklich mit Kopf und Brust durch dieselbe gekommen, am Bauche und über dem Becken umfasste, so dass es nach dem qualvollsten Kampfe endlich erliegen musste und man es des andern Tages todt fand.

Der Herr und die Frau vom Hause assen am Ostertage die beste Portion von diesem Leckerbissen, wenig davon bekamen die Angehörigen; der Rest wurde in Essig gelegt, aber nichts davon gegessen.

Desselben Tages bemerkten nun Alle im Hause, welche von dem Reh genossen hatten, eine auffallende Trockenheit im Munde, Druck im Magen und Brechreiz; die Gesichtszüge wurden bei Allen sehr leidend, blass; über Eingenommenheit des Kopfes, Schwindel, grosse Abgeschlagenheit der Glieder klagten Alle. Der Mann verlor mehrere Tage lang das Sehvermögen und war blind; kurz, von hier an begann eine Reihe merkwürdiger Krankheitszufälle, welche die Hülfe des Dr. Röser vielfach in Anspruch nahmen. Der Mann wurde erst im Juli hergestellt, die Frau aber siechte über zwei Jahre lang und erlag endlich doch einem schmerzvollen Tode. Schneller wurde die Tochter und der Knecht und die Magd hergestellt, die nur wenig von dem zu Tode gequälten Thiere genossen hatten. – Die Krankheitszufälle erinnerten in manchen Beziehungen an die Wirkungen des Wuthgiftes (und Wurstgiftes?).“ Dr. Röser schliesst seine Mittheilung mit folgenden Worten: „Scheusslich und unter Qualen geht manches Thier auf ähnliche Weise wie jenes mit

Empfohlene Zitierweise:
Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 463. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_463.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)