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des daraus gebackenen Brodes. Nur durch künstliche Austrocknung und Abschluss der Luft lässt sich dieser Verschlechterung vorbeugen. Bei Roggenmehl tritt diese Veränderung eben so rasch, vielleicht noch rascher ein als beim Weizenmehl.

Vor etwa 24 Jahren (siehe Kuhlmann, Ann. der Physik und Chemie von Poggendorff. Bd. XXI., S. 447) kam bei den belgischen Bäckern ein Mittel in Gebrauch, durch dessen Anwendung von Mehl, welches für sich ein schweres, nasses Brod geliefert haben würde, ein Brod von der Beschaffenheit wie von dem frischesten und besten Mehl gewonnen wurde. Dieses Mittel bestand in einem Zusatz von Kupfervitriol oder von Alaun zum Mehl.

Die Wirkung beider in der Brodbereitung beruht darauf, dass sie mit dem im Wasser löslich gewordenen veränderten Kleber in der Wärme eine chemische Verbindung bilden, wodurch er alle seine verlorenen Eigenschaften wieder gewinnt, er wird wieder unlöslich und wasserbindend.

Die Beziehungen des Getreideklebers zum Käsestoff, mit dem er so viele Eigenschaften gemein hat, veranlassten mich zu einigen Versuchen, welche zum Zweck hatten, die beiden oben genannten für die Gesundheit und den Ernährungswerth des Brodes so schädlichen Substanzen durch ein an sich unschädliches Mittel von gleicher Wirkung zu ersetzen. Dieses Mittel ist reines, kaltgesättigtes Kalkwasser. Wenn der zur Teigbildung bestimmte Theil des Mehls mit Kalkwasser angemacht, sodann der Sauerteig zugesetzt und der Teig sich selbst überlassen wird, so tritt die Gährung ein, ganz wie ohne das Kalkwasser. Wird zur gehörigen Zeit der Rest des Mehls dem gegohrenen Teige zugesetzt, die Laibe geformt und wie gewöhnlich gebacken, so erhält man ein schönes säurefreies, festes, elastisches, kleinblasiges, nicht wasserrandiges Brod von vortrefflichem Geschmack, welches von Allen, die es eine Zeit lang geniessen, jedem andern vorgezogen wird.

Das Verhältniss des Mehls zum Kalkwasser ist 19:5, d. h. zu 100 Pfund Mehl nimmt man 26 bis 27 Pfund oder Schoppen Kalkwasser. Diese Menge Kalkwasser reicht zur Teigbildung nicht hin, und es muss natürlich im Verhältniss gewöhnliches Wasser nach der Hand zugesetzt werden.

Da der saure Geschmack des Brodes sich verliert, so muss der Salzzusatz beträchtlich vermehrt werden, um ihm die für den Gaumen gehörige Beschaffenheit zu geben.

Was den Kalkgehalt des Brodes betrifft, so weiss man, dass 1 Pfund Kalk hinreicht, um mehr als 600 Pfund Kalkwasser zu bereiten; er beträgt in dem nach der angegebenen Vorschrift bereiteten Brode nahe so viel, als wie in einem dem Mehle gleichen Gewichte der Samen der Leguminosen enthalten ist.

Es kann als eine durch Erfahrung und Versuche ausgemittelte physiologische Wahrheit angesehen werden, dass dem Mehl der Getreidearten die volle Ernährungsfähigkeit abgeht, und es scheint nach Allem, was wir darüber wissen, der Grund in dem Mangel des zur Knochenbildung unentbehrlichen Kalks zu liegen. Phosphorsäure enthalten die Samen der Getreidearten in hinreichender Menge, aber sie enthalten weit weniger Kalk als die Hülsenfrüchte. Dieser Umstand erklärt vielleicht manche

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 474. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_474.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)