Seite:De DZfG 1890 03 015.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Grote im Jahre 1867 im Hinblick auf die amerikanische Demokratie, dass er „seinen Glauben an die Wirksamkeit einer republikanischen Regierung als eine Schranke gegen die gemeinen Leidenschaften einer Majorität in der Nation überlebt habe“. Er gibt jetzt die Möglichkeit zu, dass die „höchste Gewalt, wenn sie in republikanischen Händen ruht, auf gerade ebenso verderbliche Weise ausgeübt werden kann, als durch einen despotischen Herrscher“[1].

Nicht minder bezeichnend ist das Geständniss Grote’s (aus dem Jahre 1870), er sei zu der Einsicht gelangt, dass im Englischen Volke der Ausfall politischer Wahlen weniger zu bedeuten habe, als er ehemals vorauszusetzen pflegte. „Nimm einen Bruchtheil der Gesellschaft, mache einen Durchschnitt von ihm von oben bis unten und prüfe dann die Zusammensetzung der aufeinanderfolgenden Schichten. Sie sind von Anfang bis zu Ende einander sehr ähnlich. Die Anschauungen gründen sich sämmtlich auf die gleichen socialen Instinkte, niemals auf eine klare und erleuchtete Erkenntniss der Interessen des Ganzen. Jede besondere Classe verfolgt ihre eigenen, und das Resultat ist ein allgemeiner Kampf um die Vortheile, welche aus der Herrschaft einer Partei erwachsen“[2].

Welch’ ein Gegensatz zwischen dieser Auffassung des greisen Staatsmannes und dem Optimismus der Anschauungen seines Jugend- und Mannesalters, wie sie für sein Geschichtswerk massgebend gewesen sind! Soweit freilich ist Grote immer Doctrinär geblieben, dass er auch dann noch die republikanische Regierungsform unbedingt allen anderen vorzog, nachdem er wesentliche Punkte seines republikanischen Glaubensbekenntnisses als Illusionen erkannt hatte[3].

Es macht angesichts dieses Entwicklungsganges Grote’s selbst einen eigenthümlichen Eindruck, wenn wir in der „Griechischen Geschichte“ von dem bekannten Staatsmann Dion lesen, dass derselbe nur desshalb den Werth des reinen Volksstaates in Frage gestellt habe, weil seine Anschauungen nicht durch die Erfahrungen des praktischen Lebens und der „besten praktischen

  1. Ib. p. 314, wo es ferner heisst: that republican institutions formed no more effectual safeguard against the abuse of power than monarchy, though he should prefer the former.
  2. Ib. p. 313.
  3. Ib. p. 314.
Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Quidde (Herausgeber): Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, Freiburg i. Br. 1890, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1890_03_015.jpg&oldid=- (Version vom 19.10.2022)