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allem Anschein nach auch solche Lollardische Sätze durch die nach Böhmen geflüchteten Englischen Wiclifiten in Prag gelehrt worden sind[1].

Unter diesen Umständen musste der Versuch, das gesammte Taboritische Reformprogramm auf Grund seiner zahlreichen Berührungen mit demjenigen der Lombardischen Armen als Waldensisches Lehngut zu erweisen[2], erfolglos bleiben; dem gegenüber ist der entscheidende Einfluss des Wiclifismus auf die Ausbildung einer Reihe von grundlegenden Lehren des Taboritischen Bekenntnisses in hohem Grade wahrscheinlich gemacht worden. Nach der anderen Seite scheint es mir aber auch gefehlt, wenn im Hinblick auf das ausserordentliche Ansehen, welches Wiclif seitens der führenden Theologen der Taboritenpartei genoss, die Bedeutung des Waldenserthums für die Herausbildung des Taboritenthums aus dem Husitismus vollständig geleugnet oder auf ein geringfügiges Mass herabgedrückt wird[3]. War in der That das Waldenserthum am Anfang des 15. Jahrhunderts in Böhmen und Mähren in weiteren Kreisen und seit vielen Decennien verbreitet – und dies dürfte unsere Untersuchung wahrscheinlich gemacht haben – so musste naturgemäss auch der Einfluss des Waldenserthums und seiner allezeit rührigen Propaganda zur Geltung kommen, wenn die übereinstimmenden Wiclifitisch-Waldensischen Doctrinen in die breiten Massen des Volkes hineingetragen wurden; gerade in dem Zusammentreffen und Zusammenwirken zweier so ganz und gar voneinander unabhängigen und doch aufs nächste verwandten Reformbewegungen, der Wiclifitischen und Waldensischen, dürfte am ersten die Erklärung für die unwiderstehliche Macht, mit welcher die Husitische Volksbewegung

  1. Vgl. meine Bemerkungen in der Hist. Zeitachr. N. F. XXV, 64 f.
  2. Preger, Ueber das Verhältniss etc. a. a. O. S. 44 ff. und dazu die angeführte Besprechung von Loserth, ferner den Artikel von Goll „Die Waldenser im Mittelalter und ihre Literatur“ in den Mittheilungen des Instituts für Oesterr. Gesch. IX (1888), 326–351, sowie meine in der vorausgehenden Note angeführten Bemerkungen. Lea, History of the Inquisition II, 522 f. (vgl. auch II, 512), äussert sich zu der Frage nach der Waldensischen Beeinflussung der Taboriten etwas schwankend, nimmt aber doch das Bestehen enger Beziehungen zwischen beiden religiösen Parteien an. Von mir selbst war früher (vgl. „Die religiösen Secten in Franken“ S. 28 ff.) der Einfluss des Wiclifismus auf das Taboritenthum unterschätzt worden.
  3. Loserth in den Gött. Anzeigen S. 504.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1890, Seite 388. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1890_03_388.jpg&oldid=- (Version vom 1.11.2022)