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in späteren Werken; unter manchen nenne ich nur die Mémoires tirés des papiers d’un homme d’Etat (Paris 1835. IX, 45), die wenigstens zum Theil nach Originalquellen sorgfältig bearbeitete Histoire des cabinets de l’Europe von Lefebvre (1845. II, 232) und Häusser’s Deutsche Geschichte (1862. II, 663). Wer sollte bei so vielen übereinstimmenden Angaben die Wahrheit der Thatsache bezweifeln? Und doch lässt sich aus den sichersten Quellen erweisen, dass die Conferenz, welche dem Preussischen Minister durchaus nicht zur Ehre gereichen würde, niemals stattfand. Haugwitz hat freilich aus Wien über seine Erlebnisse nur spärliche Nachrichten gegeben. Aber in dem ausführlichen Bericht, den er gleich nach seiner Rückkehr, am 26. December, für den König verfasste, erzählt er umständlich, wie er nach der ersten Unterredung in Brünn sich auf Napoleon’s Wunsch nach Wien begab, um dort die Ereignisse zu erwarten. „Am Morgen des 5. December“, fährt er fort, „erfuhr ich von Herrn von Talleyrand die Zusammenkunft der beiden Kaiser in Folge der Schlacht bei Austerlitz, und dass der Kaiser Napoleon wünsche, mich bei seiner baldigen Rückkehr in Wien zu finden. Ich blieb mehrere Tage in Wien in Erwartung der Ankunft des Kaisers, und verwandte dieselben, um mich auf die Rolle, die ich auszufüllen hatte, vorzubereiten. Endlich (am 13.) erfolgte sie, und bald nachher wurde ich zur Audienz berufen“[1]. Kann man nach diesen Worten für möglich halten, dass der Minister zwischen dem 5. und dem 13. eine Audienz bei Napoleon in Brünn gehabt und eine so wichtige Thatsache ganz und gar verschwiegen hätte? Dieser gleichzeitigen Darstellung entspricht das Fragment der Memoiren, welches Haugwitz im Greisenalter aufzeichnete oder durch einen – leider wenig befähigten – Vertrauten niederschreiben liess. Nach der Schlacht bei Austerlitz, heisst es darin, wurde Haugwitz officiell eingeladen, die Ankunft Napoleon’s in Wien zu erwarten. Dort fand die erste Zusammenkunft des Siegers mit dem Minister statt[2]. Auch Napoleon bestätigt diesen negativen Beweis des Alibi, wenn er in dem oben erwähnten Brief an Talleyrand vom 13. December schreibt: „Quant à la Prusse, que veut-elle? je n’en sais rien. Il paraît qu’elle envoie une armée en Silésie. Je n’ai pas encore vu M. de Haugwitz“[3].

Ist somit nach übereinstimmendem Zeugniss der beiden Hauptbetheiligten die Zusammenkunft in Brünn am 7. December als eine Fabel zu betrachten, so bleibt doch die Frage: wo liegt die Veranlassung

  1. Der Bericht abgedruckt bei Ranke, Denkwürdigkeiten des Fürsten Hardenberg. Leipzig 1877. V, 225.
  2. Minerva, ein Journal von Dr. Fr. Bran, 1837. IV, 10 ff.; 538 f.
  3. Correspondance XI, 573.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1891, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1891_06_103.jpg&oldid=- (Version vom 10.1.2023)