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Trotzdem kam es am 18. März 1848 zu einem Strassenkampf in Berlin. Der König beendete ihn dadurch, dass er seinen siegenden Truppen den Ausmarsch aus Berlin befahl. Ruhe und Ordnung waren bald wieder hergestellt.“ Am 31. Jan. 1850 wird dann vom König dem Volke eine Verfassungsurkunde verliehen. – Die regressive Methode verführt offenbar mehr als jede andere Darstellungsform dazu, in dieser Art die Motive und Zusammenhänge zu verdunkeln. Man kann mit Recht einwenden, dass es überhaupt unthunlich ist, solche Dinge zum Verständniss des Sextaners zu bringen. Sollte dann aber die Schule sich nicht einer einseitigen Darstellung zu enthalten haben?

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Auch die ganze sonstige Haltung des Buches, die Verherrlichung der Regenten, den kräftig aufgetragenen Patriotismus oder vielmehr Nationalismus, den Hurrah-Ton, der den Sexta-Abschnitt kennzeichnet, und der in dem Schlusse kräftigst ausklingt, könnte man durch das jugendliche Alter der Schüler rechtfertigen wollen, da bei ihnen das biographische und das heroische Element der Geschichte bevorzugt werden muss, um Interesse zu erwecken. Aber dann erspare man diesen kindlichen Gemüthern auch völker-psychologische Bemerkungen, die bei dem unentwickelten Verständniss des Sextaners als Aufreizung zum Nationalhass wirken müssen. Mit dem „Uebermuth“ und der „masslosen Eitelkeit der Franzosen“ erscheint der „Neid“, den „dieses ruhmsüchtige Volk“ gegen Preussens wachsende Macht hegt, in 2 Zeilen zusammengedrängt, gefolgt noch von der „frechen Ungebühr“ gegen den greisen König Wilhelm. Doch diese ganze Art, die Dinge zu behandeln, liegt ja durchaus in der Richtung der ganzen „Reform“. Will dieselbe doch nicht Hebung geschichtlichen Verständnisses und geschichtlichen Sinnes, sondern Förderung einer bestimmten, politisch verwerthbaren Auffassung. Wie nun, wenn der Lehrer aus den geschichtlichen Thatsachen, die er darstellen soll, die gerade entgegengesetzte Auffassung gewonnen hat? Doch davon abgesehen (ist der Gedanke doch auf kgl. Preuss. Gymnasien ein blosses theoret. Problema): was von dem Geschichtsunterricht heute so vielfach als Erfüllung einer erziehlichen Aufgabe erwartet wird, steht in einem scharfen Contrast zu den Forderungen, welche im Namen nicht nur der Wissenschaft, sondern jeglichen Culturfortschrittes an die Schule zu stellen sind: objective Erkenntniss zu vermitteln und zu einem freien, unbefangenen Verständniss zu befähigen.

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Wie die regressive Methode und die Tendenz der politischen Ausbeutung der Schule innerlich zusammenhängen, das zeigt recht charakteristisch Herm. Grimm’s pointereicher Aufsatz, den wir oben citirten. Dort heisst es von dem Unterricht in Sexta: „Die heutige Gestaltung Deutschlands lernt er (der Schüler) kennen, als habe vorher das Chaos geherrscht. Er weiss nur von der Gegenwart. Der Knabe wird die Verhältnisse, von denen er Kunde erhalten, als stets dagewesen, als nothwendig und unabänderlich ansehen. K. Wilhelm I. u. K. Friedrich werden in der Phantasie des Kindes erhabene Gestalt annehmen, als habe Niemand vor ihnen geherrscht. Die Kriege werden in ihrem sieghaften Gange als im Rathe Gottes beschlossen erscheinen, die Personen, welche unsere Siege herbeiführen geholfen haben, stehen als Werkzeuge der Vorsehung über aller Kritik und

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1891, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1891_06_196.jpg&oldid=- (Version vom 14.1.2023)