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Fiction der Fortdauer des Imperium Romanum. Erscheint doch selbst bis ins Einzelne die Wiedergabe so vieler Rechtsbegriffe durch meist nur halb zutreffende Lateinische Ausdrücke als ein Beweis für den Mangel an innerem Bedürfniss scharfer begrifflicher Erfassung dieser Dinge. Daher kommt es denn auch, wenn einmal ein ungewöhnlicher Kopf, wie der Verfasser des Sachsenspiegels, systematische Gedanken und Theorien entwickelt, dass man sich kritiklos davon imponiren lässt, dieselben blindlings aufnimmt, wenn sie auch noch so einseitig den realen Verhältnissen zuwiderlaufen. Und dies hängt noch mit einer anderen Schwäche des damaligen Rechtsbewusstseins zusammen, der naiven Unkenntniss der Rechtsentwicklung im Ganzen und in ihren einzelnen Erscheinungen, die uns überall charakteristisch entgegentritt. Konnten doch Rechtsinstitute und -verhältnisse relativ jungen Ursprungs, selbst solche, die fast noch unter den Augen der lebenden Generation entstanden waren, als Einrichtungen längst vergangener Zeiten, zum Theil ganz anderer Cultur angesehen werden, wie z. B. die Investitur der Reichsprälaten einmal als Einrichtung des alten Testaments, ein andermal als Verleihung Papst Hadrian’s I., oder wie die verschiedensten Institute und Satzungen weit aus einander liegender Zeiten als Schöpfungen des einen Karl des Grossen; liess sich doch die königliche Kanzlei von Fälschern die unglaublichsten Rechtsanachronismen insinuiren, um dieselben durch erneute Beurkundung als vollgültig zu bestätigen; acceptirte man doch – und hierher gehört zum Theil das eben vom Sachsenspiegel Gesagte – ohne Weiteres Doctrinen, die auf ganz irriger Beurtheilung der gegenwärtigen Verhältnisse und ihrer rechtlichen Grundlagen beruhten. Sogar die Bedeutung der geläufigsten Rechtssymbole wurde verkannt: konnte doch gerade jenes Stadtkreuz, das nach Sohm eine so bestimmte und nachdrücklich festgehaltene Bedeutung als Leibzeichen des Königs hatte, häufig als ein geistliches Symbol, als Kreuz Christi, gedeutet werden, eine Thatsache, die Sohm selber S. 45 anführt, ohne zu bemerken, wie sehr sich dieselbe gegen seine Voraussetzungen kehrt.

Wir können nach alledem jene Voraussetzungen Sohm’s nicht zugeben: wir können mit modernem Denken concipirte Theorien und Begriffe, deren dereinstige Existenz an und für sich in keiner Weise nachgewiesen ist, zur Erklärung historischer

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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1891, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1891_06_271.jpg&oldid=- (Version vom 21.1.2023)