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Erscheinungen nicht zulassen, wenn dieselben nicht nachweislich dem Denkvermögen und Bildungsgrade der betreffenden Zeit entsprechen. Selbstverständlich, mögen wir – man verwechsle das nicht – Theorien und Begriffe, die unserer Bildungssphäre entnommen sind, zur Beurtheilung und somit auch zu schärferer Erkenntniss vergangener Erscheinungen anwenden, aber sobald man sie als derzeitig wirksame Elemente postulirt, ohne geprüft zu haben, ob sie damals zeitgemäss waren, geräth man in Gefahr, den Menschen der Vergangenheit die eigenen modernen Gedanken unterzuschieben und deren eigene einfachere, ungebildetere Gedanken, auf die eine allseitige unbefangene Betrachtung der Thatsachen hinweist, einseitig zu verkennen[1]. So verfällt man in eine deductive Behandlung concreter historischer Probleme, welche der Rechtsgeschichte ebenso fern bleiben sollte, wie jedem anderen Zweige der Geschichtswissenschaft.




Ich kann nach alledem den Weg, welchen Sohm in seiner Schrift zur Erklärung der Entstehung des Deutschen Städtewesens eingeschlagen hat, nur für durchaus verfehlt halten, und ich erachte es für die Aufgabe jedes Forschers auf diesen Gebieten, sich klar zu machen, ob dem so ist oder nicht, weil es sich hierbei nicht nur um die Auffassung der Städteentwicklung, sondern auch um principielle methodische Fragen handelt. Nach meiner Meinung – und ich hoffe mit derselben nicht allein zu stehen – würde eine allgemeinere Nachfolge auf diesem Wege einen bedenklichen Rückschritt der rechtsgeschichtlichen Forschung bedeuten.



  1. Vgl. F. Walter, Deutsche Rechtsgeschichte 2. Auflage 1857 S. 184 Note 8: „Um den Geist des Deutschen Rechts [im früheren Mittelalter] zu fassen, muss man sich in eine Zeit zu versetzen verstehen, wo das Recht ohne Rechtsschulen und ohne Bücher bloss durch die Urtheile der Schöffengerichte, durch die Fragen und Antworten im gehegten Ding und durch einige Rechtssymbolik überliefert wurde. Jede Theorie, die über den Gesichtskreis des gesunden Bauernverstandes hinausgeht oder die gar ein Studium aus Büchern erfordert, kann man schon aus diesem Grunde von vorne herein als irrig verwerfen.“ Wenn wir auch nicht so weit gehen wollen, sind diese Worte doch recht beachtenswerth. Eine exakte Untersuchung der Theorien, insbesondere der Fictionen, im ältern Deutschen Recht wäre sehr zu wünschen. Soviel ich weiss, hat man bisher nur die Fictionen des Römischen Rechts näher untersucht.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1891, Seite 272. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1891_06_272.jpg&oldid=- (Version vom 21.1.2023)