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eine Untersuchung über die aufgeworfene Frage zu nehmen habe. Derselbe besteht nicht nur in einer Controle seiner Nachrichten durch Benutzung anderer Quellen, sondern, was wichtiger ist, vor allem darin, dass man aus Momenten seiner schriftstellerischen Individualität ein Kriterium gewinnt, und zwar in dem Sinne, dass man sich bei allen Berichten vergegenwärtigt, was als ein Ausfluss seiner Eigenart, als eine Folge seiner Arbeits- und Schreibweise zu betrachten ist, um nach Abzug dessen auf den wahren Kern des Gewussten und Ueberlieferten zu stossen[1]. Meine erste Abhandlung betrachtete zwei Seiten seiner schriftstellerischen Eigenart, nämlich seine Arbeitsweise[2], d. h. seine

  1. Dass ich mich hierbei auf dem rechten Pfade befand, beweist mir vornehmlich die günstige Besprechung meiner Dissertation durch Herrn Prof. Dr. G. Meyer von Knonau (DLZ 1891 Nr. 13 p. 460), der als Verfasser der Jahrbücher des Deutschen Reichs unter Heinrich IV. und V. als der berufenste Kritiker anzusehen ist, ferner die Thatsache, dass meine Untersuchung über die „Arbeitsweise Lambert’s, erläutert an dessen Vita Lulli“, die im ersten Kapitel meiner Dissertation abgedruckt ist, von der philosophischen Fakultät der Friedrich-Wilhelm-Universität zu Berlin den Preis der Droysen-Stiftung zuerkannt erhielt.
  2. Aus dem bei Verarbeitung des Quellenmaterials zur Vita Lulli beobachteten Verfahren liessen sich folgende Hauptmomente aufstellen:
    I. Lambert benutzt seine Quellen nicht nur in Bezug auf Nachrichten über seinen Heiligen, sondern schreibt dieselben, wenn auch in freier Weise, dahin aus, dass er geeignete Charakterzüge, Episoden und sonstige Einzelheiten, die von anderen Heiligen ausgesagt werden, einfach auf den seinigen überträgt.
    II. Die Vorgänge, die 3 Jahrhunderte zurückliegen, werden durchweg im Gewande und in der Anschauung seiner eigenen Zeit erzählt, wobei er Einzelheiten unter Benutzung zeitgenössischer Vorstellungen hinzufügt.
    III. Für eine Nachricht folgt er nicht der glaubwürdigsten Quelle, sondern vereinigt verschiedene, ja sich widersprechende Berichte.
    IV. Das Wesentlichste ist sein Streben nach pragmatisirender Darstellung, daraus erklärt sich, was für die Beurtheilung der Annalen von Bedeutung ist:
    V. die Behandlung der historischen Abschnitte seiner Biographie. Von der Ueberzeugung getragen, dass ihm die sich widersprechenden Quellen nicht die lautere Wahrheit berichten, hält er sich für befugt, den ursächlichen, ihm überlieferten Zusammenhang der Ereignisse zu ändern, ohne hierbei aber irgend ein wichtiges Vorkommniss zu unterdrücken.
    VI. Von Interesse ist die auffallende Erscheinung, dass er sich bei der Darstellung zweier gleichen Vorgänge in leicht erkennbarer Weise wiederholt (Diss. p. 45). Die Erklärung haben wir ausser in dem Umstande,
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1891, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1891_06_302.jpg&oldid=- (Version vom 22.1.2023)