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Renaissance beigetragen. Das gilt sogar für das in besonders hohem Grade nationale Gebiet des Rechts.

Hier hat vielfach erst der Einfluss der classisch-absolutistischen Strömung unter den Karlingen die starre Gebundenheit des Rechtszwanges gebrochen. Die todte Macht uralter Formeln und Formalbräuche, welche früher das Processrecht völlig beherrschte[1], ist nun geschwunden. Schon im 9. Jh. ladet der königliche Richter die Parteien vor Gericht, nicht mehr der Kläger den Beklagten kraft bindender, unpersönlicher Formel; vom Richter wird auch die Verhandlung geleitet, nicht mehr vom unverständlich gewordenen Zwang symbolischer Handlungen; unter den Beweismitteln wird der Eid persönlicher gestaltet, bei den Zeugen wird eine innere Bürgschaft für deren Glaubwürdigkeit gesucht, der Beweis durch Urkunden wird angebahnt neben den alten formalistischen Beweisen durch Gottesurtheil[2] und Eide.

Wurde das Individuum im Processrecht freier gestellt vornehmlich durch königliche Eingriffe ins Volksrecht, so verschaffte ihm die Fortbildung der Volksrechte auf Stammesboden grössere Freiheit auch als Subject von Rechten. Namentlich wurde auf diesem Gebiete der altgermanische Grundsatz der Baarverträge zu Gunsten der Selbstbürgschafft des Schuldners allmählich verlassen[3]. Es waren Fortschritte, die zugleich den rechtlichen Begriff der Freiheit zu heben begannen. Der Verlust der Freiheit bei Zahlungsunfähigkeit war wohl anfangs Recht auch noch der Stammesperiode[4]. Doch bald wird die Schuldknechtschaft nicht mehr als endgiltige Aufhebung, sondern nur noch als zeitweise Verpfändung der Freiheit gefasst: die Freiheit erscheint als ein in diesem Falle unveräusserliches Eigen des Freigeborenen. Spielten aber schon in der Durchbildung einer volleren juristischen Persönlichkeit des Freien volkswirtschaftliche Momente, so namentlich der Eintritt eines gewissen Verkehrs, mit, so war die unmittelbare Wirkung der agrarischen Entwicklung noch weit bedeutender.

  1. S. Lamprecht, Deutsche Geschichte Bd. I, 184 f.
  2. Für die Gottesurtheile muss schon Karl der Grosse einschärfen: ut omnes iudicium Dei credant absque dubitatione; Cap. miss. Aquisgr. (809) c. 20. LL. Capp. S. 150. Die Gottesurtheile wurden von der Kirche völlig verchristlicht und so gestützt, s. die Ordines iudiciorum Dei bei Zeumer, Formulae S. 599 ff.
  3. S. dazu Schröder, Rechtsgesch. S. 283.
  4. Wenigstens für gerichtliche Strafen, vgl. Richthofen, LL. 5, 42 Anm. 45.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_07_006.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2023)