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Die Markgenossenschaft selbst der ausgehenden Deutschen Urzeit hatte der Regel nach wohl noch in Feldgemeinschaft gelebt: gemeinsam hatte man gesät und geerntet, jede besondere wirthschaftliche Initiative des Einzelnen war erstickt worden im communistischen Getriebe des Ausbaus. Wie anders gedieh das Leben der Markgenossenschaft des 10. Jahrhunderts! Schon längst war jeder Bauer im privaten Besitze des Grundes und Bodens, den er bestellte; gemeinsam war nur noch die extensive Nutzung von Weide und Wald, von Wasser und Jagdgrund. Zwar galten dabei für den Anbau der Felder immer noch die harten, aus der ursprünglichen Anlage der Flur leicht erklärlichen Gesetze des Flurzwangs: alle Bauern desselben Dorfes mussten auf den Aeckern desselben Flurabschnittes das gleiche Korn zu gleicher Zeit säen, zu gleicher Zeit ernten, da sie zumeist keinen Weg, der zu ihrem speciellen Acker führte, besassen: allein dieser Flurzwang, an sich immerhin noch eine ungemein starke Fessel der wirtschaftlichen Persönlichkeit, war gleichwohl ein unendlicher Fortschritt gegenüber dem agrarischen Communismus der Urzeit.

Und was noch viel mehr besagen wollte: auch auf dem Gebiete des Familien- und Ehelebens waren die Schranken der Vorzeit während der Dauer der Stammesstaaten in vieler Hinsicht gefallen.

In der Urzeit war das Leben nicht bloss des Individuums, nein auch noch der Familie aufs engste in dem Schoosse des grossen Geschlechtes gebettet gewesen mit seinen Verwandtschaftsringen bis ins siebente und in fernere Glieder; noch nicht völlig hatte man das Zeitalter vergessen gehabt, in der das Geschlecht einstmals zugleich die einzige kriegerische und staatliche Institution des Volkes gewesen[1]. Jetzt dagegen hatten langsame, aber grundstürzende Wandlungen die Bedeutung des Geschlechtes wenn nicht beseitigt, so doch völlig in den Hintergrund geschoben. Nachdem noch für die Besiedlung des Landes in einzelnen Dörfern vielfach der genealogische Gesichtspunkt massgebend gewesen war, so dass die Dorfgenossen anfangs zugleich Genossen Eines Geschlechtes waren, hatte sich an diese Stelle immer mehr der locale Gesichtspunkt geschoben. Geschlechts- und Dorfgenossen wanderten aus, Fremde wanderten zu, schon im 7. und 8. Jahrh. verdunkelten diese Vorgänge die alten geschlechtlichen Beziehungen des Zusammenlebens. Im 9. und 10. Jahrh. weiss man fast nichts

  1. Vgl. Lamprecht, Deutsche Geschichte Bd. I, 162 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_07_007.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2023)