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Im 8. Jh. war man freilich noch fern von einer innerlichen Annahme des Christenthums: schon der tolerante Sinn der Germanischen Bevölkerungen bis ins 10. Jh. hinein beweist das. Und noch viel später rauschten und raunten heilige Bäume den Willen der alten Götter, umhallten prophetische Stimmen und Opfergemurmel die Steinbauten väterlicher Opferstätten, wurden Germanische Zaubersprüche gesungen über Feld und Vieh, über Webstuhl und Spinnrocken, über Tagesnahrung und heilkräftige Wurzeln.

Doch beginnen schon seit Karls des Grossen Zeit leise Spuren einer mehr als äusserlichen Aufnahme des Christenthums wenigstens bei entgegenkommend gestimmten Seelen. Schon die Thatsache, dass die christliche Uebersetzungsliteratur für Laien seit dieser Zeit sich rasch mehrt, kann dahin gedeutet werden. So wird schon um die Wende des 8. und 9. Jhs. neben Taufgelöbniss, Symbolum und Vaterunser vornehmlich das Evangelium Matthaei ins Deutsche übertragen, das am meisten episch gestimmte aller Evangelien, und wohl gleichzeitig beginnt auch die Uebersetzungsliteratur der Predigt. Darauf folgt, ebenfalls ganz ein Erzeugniss missionirender Bestrebungen, der Hêljand[WS 1] vom Jahr etwa 830, ein Versuch, das Leben Christi in freier Anlehnung an vorhandene Bearbeitungen und Erklärungen der Evangelien in nationalem Ton zu erzählen: Christus wird zum reichsten aller ringspendenden Könige, denn er begabt mit den Freuden ewigen Lebens, die Jünger sind sein Gefolge, Petrus sein besonders bevorzugter Schwertdegen; selbst die Schafhirten bei der Geburt Christi werden zu den Pferdehütern Altsachsens. Diesen mehr von aussen herangebrachten Zeugnissen christlichen Lebens begannen die Germanischen Stämme seit etwa Mitte des 9. Jhs. aus eigenem Triebe zu antworten: die Alamannen durch den Mund eines Geistlichen, des Mönches Otfrid von Weissenburg, die Baiern seitens jenes Laien, welcher das Muspilli genannte Lied dichtete, die Sachsen in den rührenden Familienbekenntnissen des Agius, des Liudolfingischen Mönches von Lammspringe.

Otfrid dichtete sein Evangelienbuch auf Veranlassung einer ehrwürdigen Matrone und einiger Klosterbrüder, er widmete es ausser seinem König dem Erzbischof von Mainz, dem Bischof von Konstanz und zwei würdigen Brüdern im Kloster des h. Gallus. So ist das Gedicht ein kirchliches, ja ein gelehrt kirchliches Gedicht didaktischen Zweckes. Trocken, wenn auch innigen Tones,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Der Heliand ist ein frühmittelalterliches altsächsisches Großepos und wichtiges Glied im historischen Kontext der Entstehung der deutschen Sprache und Literatur.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_07_027.jpg&oldid=- (Version vom 26.1.2023)