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mehr Heilige geliefert, von der h. Liutbirg von Halberstadt[WS 1] bis zur h. Wiborad von Sanct Gallen[WS 2] und von sanct Humbert von Verdun bis zu Gunther, dem trotzigen Waldbruder des Boehmischen Gebirges. Alle Gegenden, alle Stämme haben damals Vertreter des einsam-asketischen Lebens geliefert, nicht zum wenigsten der letztbekehrte Stamm der Sachsen[1]. Hier lebte schon in Karlingischer Zeit die h. Liutbirg, bereits vor ihrem Einschluss in die Zelle durch Fasten und Nachtwachen aufgerieben; der Körper ausserdem zerarbeitet durch der Hände mühsamen Fleiss und gleichsam schon erstorben im Hungertod, die Leibeskraft erschlaffend, der lebhafte Gesichtsausdruck in starrende Blässe gewandelt, die Haut schlotternd um Knochen und magere Muskelmassen: das war der Erfolg ihres nächtlichen Gottesdienstes[2]. Nachdem sie aber vom Bischof in ihre Klause gebannt war, um sie nie, ausser in echter Noth zu verlassen, diente sie Gott in unablässiger Meditation, in Gebet und frommer Arbeit, und nährte sich nur von Brod, das sie mit Salz und Kräutern des Feldes würzte, von Waldbeeren und wilden Aepfeln; nur an Sonn- und Festtagen empfing sie Fische und Hülsenfrüchte von milder Hand[3]. Um ein Jahrhundert später aber lebte die h. Sisu von Drübeck in Westfalen bei vierundsechzig Jahren in ihrer Klause, ohne sie zu verlassen, ohne Kühlung in der Hitze des Sommers, fast ohne Feuer in des Winters Kälte; Würmer zernagten ihren Körper, die sie sich, fielen sie ab, in frommer Wollust wieder ansetzte[4].

Was die Frauen derart in der Nähe bewohnter Orte in stummem Dulden suchten, das fanden die Männer zumeist in der melancholischen Einsamkeit des Urwalds: kein Waldgebirg, das nicht seine wunderlichen Heiligen genährt hätte. Da sassen sie, ein Bliduf im Wasgenwald, ein Lambert in den Ardennen, fern jedem Verkehr in unwegsamer Wildniss, dürftig ja kaum bekleidet, ewig verhalten in Fasten und Gebet; hell erklang ihr Psalmengesang durch das nächtliche Dunkel, und im Wettstreit mit den Vögeln des ersten Sonnenstrahls lobten sie den Herrn in der Höhe.

Aber wie die Weltflucht der Iren und Angelsachsen einst umgeschlagen war in ungezügeltem Wanderdrang, wie der frühmittelalterliche

  1. S. z. B. Ann. Quedlinb. z. J. 1011; 1013.
  2. Vita Liutbirg c. 11.
  3. Vita Liutbirg c. 22.
  4. Thietm. 8, c. 6.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Liutbirg († um 870) war eine hoch geachtete Klausnerin, die an der Christianisierung der Sachsen im Nordost-Harz im 9. Jahrhundert maßgeblichen Einfluss hatte.
  2. Wiborada († 1. Mai 926 in St. Gallen) war eine Einsiedlerin, geweihte Jungfrau und Märtyrin der katholischen Kirche. Sie lebte als Inklusin in St. Gallen.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_07_034.jpg&oldid=- (Version vom 26.1.2023)