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terra incognita. Ehe man diese peinliche Lücke nicht ausgefüllt hat, kann die Forschung über die verhängnissvolle Streitfrage nicht für abgeschlossen gelten.“ Ich bin im Stande, diesem Mangel abzuhelfen und das von dem bewährten Historiker noch vermisste Material beizubringen, aus dem Vaticanischen Archive selbst, das die hochherzige Liberalität des jetzt regierenden Papstes den Forschern geöffnet hat. Ausserdem fand ich weitere Aufschlüsse in dem Venezianischen Staatsarchive. Freilich fehlen hier bekanntlich seit alter Zeit die Originaldepeschen der Gesandten in Frankreich aus dem Jahre 1572 (stilo Veneto, d. h. März 1572 bis Ende Febr. 1573); indess diese Lücke ist im wesentlichen auszufüllen aus den Deliberazioni del Senato, sowie aus den Annali, einer officiellen handschriftlichen Sammlung, die, nach Schrift und Orthographie zu urtheilen, noch im 16. Jh. von den wichtigsten Depeschen und Berathungen verfasst wurde und beide theils auszüglich theils geradezu wörtlich wiedergiebt. Einiges davon hat William Martin (La Saint-Barthélemy devant le sénat de Venise, Paris 1872) veröffentlicht, aber meist Unwesentliches; seine dürftigen Auszüge beginnen erst mit dem 22. August 1572. Aus beiden Quellen, den Vaticanischen Actenstücken wie denen der Frari, ergeben sich die Stellung und die Anschauungen des päpstlichen Hofes in Betreff der Bartholomäusnacht bis zur Evidenz. Auch andere wichtige Resultate, die ein helles Licht auf die Haltung der massgebenden Persönlichkeiten in jener grossen Tragödie werfen, lassen sich aus den erwähnten diplomatischen Actenstücken gewinnen.

Seit dem Beginne der Herrschaft Katharinas von Medici hegte die Römische Curie lebhaftes Misstrauen gegen alles, was dem Französischen Hofe nahe stand. Als im Herbste 1561 die Regentin die Frage der Rückgabe Navarras an dessen Titularkönig anregte, beschloss das Colleg der Cardinäle auf diesen Gegenstand nicht einzugehen, in Rücksicht auf den katholischen Eifer des Königs von Spanien und die religiöse Gleichgültigkeit der Französischen Regierung[1]. Selbst der Cardinal von Bourbon, so gut katholisch derselbe sonst war, blieb nicht von dieser Ungunst verschont. Der Papst, schreibt Cardinal Borromeo am 16. Februar 1562 an den Legaten in Frankreich, den Cardinal von Ferrara, hatte die Absicht gehegt, die Legation und damit

  1. Vatican. Archiv, Nunziatura di Germania, Bd. 4.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_07_109.jpg&oldid=- (Version vom 3.2.2023)