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und niemals sind die Gebete für das Wohl der von Gott eingesetzten Obrigkeit in allen Kirchen aus aufrichtigeren Herzen emporgestiegen, als in jener Zeit. Aber eben diese Gebete, an deren Zauberkraft er festiglich glaubte, fürchtete Licinius. Für ihn, das wusste er wohl, wurden sie nicht in dem gleichen Sinne dargebracht[1]. War er doch der Tyrann, welcher jedes reiche Besitzthum und jedes schöne Weib, das die Begierden des greisen Wüstlings reizte, mit brutaler Gewalt an sich brachte. Auch er hatte zwar bei Tzirallum unter dem Zeichen des Kreuzes gekämpft; aber dass sein Verhältniss zum Christenthum kein anderes war, als das seiner Landsknechte, war Jedermann wohlbekannt. Um sich vor dem Zauber der Heiligkeit, welcher seinen Gegner umgab, zu schützen, griff er, sobald er zum Kriege fest entschlossen war, zu einem echt heidnischen Mittel. In allen antiken Religionen findet sich der Glaube wieder, dass ein Gebet oder ein Gelübde seine Kraft verliert, wenn es nicht in der vorgeschriebenen Form dargebracht wird. Licinius machte sich also um das Jahr 321[2] daran, die Formen des christlichen Gottesdienstes

  1. Euseb. h. e. X, 8, 9; vita Const. II, 2, 1.
  2. Die Meinung Keim’s, dass der Beginn der Christenverfolgung im Jahre 315 „zweifellos feststehe“ (Protestantische Kirchenzeitung 1875, S. 900), stützt sich nur auf mehr als zweifelhafte Zeugnisse. Orosius und der Anonymus Valesianus sind schon von Klebs (das Valesische Bruchstück zur Geschichte Constantin’s. Philologus N. F. I, S. 57 und 60) beseitigt. Die Zeitbestimmung des Sozomenus (I, 7) ist zu allgemein und beruht auf zu flüchtiger und ungenauer Kenntniss der Geschichte Constantin’s, als dass sie irgend welche Beachtung verdiente. Die Stelle des Eusebius (vita Const. I, 48) ist von dem Autor selbst gar nicht als Zeitbestimmung gemeint, sondern nur als stilistische Ueberleitung von einem Gegenstande zu einem andern. Er hat zuerst von den Decennalien Constantin’s erzählt und reiht daran den letzten Krieg gegen Licinius nebst der Christenverfolgung, welche ihn einleitete. Irgend ein Ereigniss von Wichtigkeit, welches zwischen jenen beiden läge, kennt er nicht. Er verknüpft sie daher in folgender Weise: „Constantin feierte seine Decennalien. Darüber freute er sich, nicht aber über die Nachrichten, welche er aus dem Orient erhielt. Denn dort begann Licinius die Verfolgung.“ Aus einem Satze dieser Art zu schliessen, dass der Beginn der Verfolgung unmittelbar auf die Decennalien gefolgt sei, wäre selbst bei einem Schriftsteller, der im Chronologischen zuverlässiger ist, als Eusebius, nicht gestattet. Es bleibt also nur der Satz der Kirchengeschichte X, 8, 8, aus welchem vita Const. I, 50, 2 abgeschrieben ist. Hier aber sagt Eusebius, Licinius habe, sobald der Krieg gegen Constantin beschlossen war (ὁμόσε Κωνσταντίνῳ πολεμεῖν διαγνούς), die Christenverfolgung
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 347. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_07_348.jpg&oldid=- (Version vom 4.2.2023)