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Er bekämpft die Theorie, die Herrschaft des besten Mannes sei desshalb der Herrschaft der Gesetze vorzuziehen, weil die Gesetze mit ihren allgemeinen Normen nicht für jeden Fall das Richtige treffen könnten, der König dagegen immer nach der Natur des einzelnen Falles entscheiden könne. „Wer also eine Herrschaft des Gesetzes verlangt, der wünscht allein Gott und die Vernunft als Herrscher. Wer dagegen menschliche Herrschaft vorzieht, fügt auch das Thier hinzu. Denn die Begierde ist etwas Thierisches und der Zorn verdirbt in herrschenden Stellungen selbst die besten Männer“[1]. Aristoteles bemerkt, dass die Schwächen der Monarchie sich vornehmlich bei den Nachkommen zeigen, welche ihre Herrschaft nicht selbst erworben, sondern ererbt haben; da sie ein Genussleben führen, werden sie leicht verächtlich und geben ihren Gegnern zahlreiche Blössen[2]. Ebenso wie den Einfluss der Alleinherrschaft auf den Herrscher beobachtet Aristoteles auch die Wirkung, die sie auf die Unterthanen ausübt. Die Art, wie eine gesetzwidrige Monarchie sich auf die verächtlichen Seiten der menschlichen Natur gründen kann, wird mit einem Scharfblicke geschildert, der an Macchiavelli erinnert[3]. Wie er hier eine usurpirte Gewalt sich behaupten sieht, die es versteht, den Egoismus der Beherrschten für sich auszunutzen, so sieht Aristoteles auf der anderen Seite ein rechtmässiges Königthum stürzen, wo es durch Ueberspannung seiner Ansprüche zum Widerstande reizt[4].

Die Beobachtung, dass der Bogen springt, wenn er zu straff gespannt wird, dass ein politischer Factor seine Existenz gefährdet, wenn er sie in drückender Weise geltend macht, bestätigt sich auch in andern als monarchischen Staaten[5]. Aristoteles findet, dass die Menschen sich selbst das moralisch Schlechte von ihren Regierungen gefallen lassen, so lange es sich in gewissen Grenzen hält und im Dunklen schleicht, und sich erst dann darüber entrüsten, wenn das Unwesen so stark ist, dass es krass in die Augen fällt[6]. Auch sonst untersucht der Philosoph, wie die Grenzen für das Erlaubte und Unerlaubte fliessend sind, indem die Leute Anderen gegenüber für Recht halten, was sie sich selbst gegenüber als Unrecht hinstellen[7].

  1. III, 1278 a 28 ff.
  2. V, 1312 b 20 ff.
  3. V, 1314 a.
  4. V, 1313 a 1.
  5. VI, 1320 a.
  6. VI, 1319 b 28.
  7. VII, 1324 b 27.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_08_019.jpg&oldid=- (Version vom 16.12.2022)