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städtische Bevölkerung im Gegensatze zu den conservativen Bauern ein unruhiges und revolutionäres Element der Bürgerschaft bildete, war aus den von ihm wie von Anderen (z. B. Aristophanes) beobachteten Thatsachen abgeleitet. Darum sind ihm agrarische und gemässigte, städtische und extreme Demokratie gleichbedeutend. Auch der Satz, dass nur durch den Versammlungs- und Gerichtssold die extreme Demokratie, mochte sie auch vorher schon dem Namen nach bestehen, zur Wirklichkeit werden konnte, gründete sich auf eindringendes historisches Studium. In Athen haben die Nichtbesitzenden ein entschiedenes Uebergewicht erst erhalten, nachdem Perikles den Richtersold eingeführt hatte[1]. (Vgl. oben S. 8.) Dieser Sold hatte den berechtigten Zweck, dem Aermsten, der bisher keinen Augenblick von seiner Erwerbsthätigkeit hatte abkommen können, die Theilnahme an den gesetzlich Allen zugänglichen Volksgerichten zu ermöglichen. Er erzielte den thatsächlichen Erfolg, dass auf die Ausübung eines politischen Ehrenrechtes eine pecuniäre Prämie gesetzt war, und dass die Volksgerichte dahin strebten, ihre Competenz über die gesetzlichen Grenzen auszudehnen.


IV.

Aristoteles stützt sich auf historische Thatsachen, wenn er Gewicht darauf legt, ob in einer Bürgerschaft die niedere städtische Bevölkerung der massgebende Factor ist oder nicht. Wenn man diesen Unterschied im Auge behält, so löst sich ein anscheinender Widerspruch, welcher in neuester Zeit die Philologen beschäftigt hat. Auf der einen Seite ist es bekannt, in wie scharfen Ausdrücken Aristoteles die unbeschränkte Demokratie verurtheilt. Er stellt sie auf eine Linie mit einer gesetzwidrigen und willkürlichen Monarchie, also derjenigen Regierungsform, vor der die Griechen den grössten Abscheu hatten[2]. Wo die Menge ihre Competenz in allen Richtungen ausdehnt, da haben Volksbeschlüsse mehr zu sagen als Gesetze. Einen Staat, in dem die Menge herrscht und nicht die Gesetze, vermag der Philosoph kaum als verfassungsmässige Demokratie anzuerkennen[3].

  1. II, 1274 a 5. Die Angabe bleibt richtig, auch wenn diese Stelle nicht von Aristoteles sein sollte.
  2. IV, 1292 a 16 ff.
  3. IV, 1292 a; vgl. 1292 b ff.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_08_023.jpg&oldid=- (Version vom 25.2.2023)