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als jene Erschliessung Griechisch-Arabischer Literatur ihren Anfang nahm. Eben mit der Griechischen Philosophie vertrug sich ja die Vorliebe der Araber für die Sternenwelt vortrefflich. Platon hatte die Gestirne als sichtbare Götter bezeichnet und die Hypothese vom Weltjahr aufgestellt, nach welcher beim Ablauf von 10 000 gewöhnlichen Jahren alle Planetenkreise ihre Umdrehung vollendet und die Stelle des Fixsternhimmels, von der sie ausgegangen waren, wieder erreicht haben sollten. Auch Aristoteles verstand sich zur Annahme von Gestirngeistern, welche die Planeten bewegten, und wir werden diese von der Scholastik adoptirte Lehre später bei geschichtsphilosophischen Constructionen wirksam sehen. Indem nun die Arabischen Aristoteliker die naturalistische Seite im System ihres Meisters weiter entwickelten und der grosse Commentator Ibn Roschd (Averroes, † 1198) mit seiner Lehre von der Ewigkeit der Materie und der Wesenseinheit der Vernunft die göttliche Weltregierung und die individuelle Unsterblichkeit entbehrlich machte[1], musste die Neigung, alles Geschehen in den Kreislauf unabänderlicher Gesetze einzuordnen wie von selbst jenem bereits vorhandenen Glauben an den allumfassenden Einfluss der Gestirne sich zuwenden. Und wenn auch die Lehre des Averroes mit dem, was nachmals unter seinem Namen im christlichen Abendland die Geister erregt und die Kirche erschreckt hat, keineswegs völlig zusammenfällt, so steht doch die Arabische Herkunft dieser besonders in Frankreich und Italien verbreiteten naturalistischen Philosophie ebenso ausser Zweifel, wie ihr inniger Zusammenhang mit der Astrologie. „Drei Jahrhunderte hindurch,“ sagt Reuter, „ist die Averroistische Weisheitslehre das Arcanum der Aufklärung in Europa geblieben.“

Bekanntlich wucherten im 12. und 13. Jahrhundert Ketzerei und Unkirchlichkeit jeder Art nirgends so mächtig wie auf Französischem Boden. In der Heimath der Albigenser und Amalrikaner entwickelte sich schon frühzeitig neben dem Platonisierenden Naturalismus eines Bernhard von Chartres ein jedenfalls

  1. Vgl. Ritter, Gesch. der Philosophie VIII, 130 ff.; 161; E. Renan, Averroès et l’Averroisme, 3. Aufl., Paris 1866; H. Reuter, Gesch. der relig. Aufklärung im MA. II, 49 ff.; F. A. Lange, Geschichte des Materialismus I³, 153 f.; 175 f.; K. v. Lasswitz, Gesch. der Atomistik I (1890), 171 ff.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_08_038.jpg&oldid=- (Version vom 25.2.2023)