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jedes Zeitalter aus der Gesammtheit seiner besonderen Verhältnisse heraus zu begreifen und zu beurtheilen, zugleich jedoch die Begebenheiten und Zustände desselben als das Ergebniss einer voraufgegangenen Entwicklung zu erfassen und zu schätzen; sowie ferner ein geistiges Augenmass für das Grosse und Kleine an Menschen und Dingen“. – Auf die übrigen Thesen Prof. Dove’s und auf Einzelheiten seiner sie erläuternden Rede werden wir später zurückzukommen haben. Hier sei nur erwähnt, dass er seine Definition des historischen Sinnes als das Eigenthum Treitschke’s bezeichnete.

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Prof. Kaufmann, der zweite Correferent, hatte diese beiden Thesen im wesentlichen in die seinen übernommen. Wir geben seine eigene erste These hier wieder, indem wir auf die kleinen Abweichungen von der Doveschen Formulirung durch cursiven Druck aufmerksam machen. „Der Geschichtsunterricht dient der Vorbereitung für das öffentliche Leben am besten durch die rechte Lösung seiner allgemeinen Aufgabe: den Grund für eine historische Bildung der Schüler zu legen.“ In seiner zweiten These hatte Prof. Kaufmann Dove’s zweite These bis auf ganz kleine Abweichungen wörtlich wiederholt, aber noch drei Zusätze gemacht: er forderte als Bestandtheil des historischen Wissens unter a) auch das „Verständniss der wichtigeren politischen Begriffe und Einrichtungen“, als Bestandtheil des historischen Sinnes unter b) auch eine „gewisse Erfahrung über die Wandelbarkeit politischer Mächte und Zustände“ und als einen dritten selbständigen Bestandteil historischer Bildung: c) „die Erweckung der Vaterlandsliebe und eines strengen Pflichtbewusstseins gegen den Staat“, – womit er sich der ersten Martens’schen These einigermassen näherte.

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Die Debatte des ersten Vormittags erhielt ihre Signatur vornehmlich dadurch, dass alle Redner, bis auf einen (Prof. Böhtlingk aus Karlsruhe), die Anschauungen des Referenten sehr entschieden bekämpften und damit den lebhaftesten Beifall der Versammlung fanden. Die Redner traten gegen Dir. Martens einmal aus allgemeinen und pädagogischen Gründen für das Recht der Individualität und der Familie gegen ein alles beherrschendes Staatsbewusstsein und gegen die Alleinherrschaft des Staates in der Schule auf – so schon die beiden Correferenten und der erste Redner der Debatte, Prof. Prutz, und dann besonders wirkungsvoll der Reichstagsabgeordnete und frühere Gymn.-Lehrer Prof. Kropatscheck, der sich selbst als Erzreactionär einführte, aber hier für die Freiheit der Individualitäten und das Recht der Familie focht. Er machte gegen den Referenten geltend, dass die Schule überhaupt in erster Linie unterrichten solle und eine erzieherische Aufgabe nur mittelbar neben dem Hause zu erfüllen habe. Dasselbe Motiv betonten noch mehrere Redner, unter ihnen Prof. Vogt aus Augsburg. Auch Prof. Grauert wandte sich am Schluss der Discussion von einem anderen Standpunkte aus gegen die einseitige Betonung des Staatsbewusstseins. Er wollte (ähnlich wie Prof. Kaufmann in seiner These 2b) die Wandelbarkeit politischer Zustände, neben diesem Wandel aber auch das Ewige in der Geschichte, die Würde und Bestimmung des Menschen hervorgehoben haben. Ueber den Pflichten gegen den Staat dürften die Gewissenspflichten und die Pflichten gegen Gott nicht vergessen werden. Von den meisten Rednern wurde auch die Zurücksetzung der Vaterlandsliebe

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1893, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1893_09_157.jpg&oldid=- (Version vom 22.3.2023)