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zugiebt – gegen jede politische Tendenz Front macht, während der zweite – nach meiner Auffassung – das Wesentliche aus meinem Begriffe des Staatsbewusstseins enthält. Bei dieser Auffassung des Stieve’schen Antrages beharre ich im Einklang mit dem Herrn Antragsteller noch heute. Das Wort Gesinnung in dem ersten Theile bedeutet lediglich politische Tendenz; denn wenn es irgendwie auf einen ethischen Zweck hinzielen sollte, so würde sich der ganze Antrag auf die schöne Formel reduciren lassen: der Geschichtsunterricht wehrt jeden ethischen Zweck ab, indem er einen ethischen Zweck verfolgt! Und der Herr Berichterstatter ist nahe daran, dies zu thun.

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Bei meiner hiermit nochmals erörterten Auffassung des Stieve’schen Antrages kann gar keine Rede davon sein, dass ich meinen principiellen Standpunkt aufgegeben oder auch nur modificirt habe; ich habe mich, indem ich ihm zustimmte, lediglich gegen politische Tendenz in dem oben gekennzeichneten Sinne verwahren wollen. Das ethische Ziel: die Erziehung der Jugend zum Staatsbewusstsein auf dem Grunde der Verantwortung mittels des Geschichtsunterrichts erhalte ich nach wie vor mit voller Stärke aufrecht. Wenn der verehrte Herr Berichterstatter das als Gesinnung bezeichnet und als tendenziösen Zuschnitt des Geschichtsunterrichts charakterisirt, so liegt da unsere eigentliche Differenz: denn ich betrachte es nicht als Gesinnung, die der Eine haben kann und der Andere nicht, sondern als etwas, was wir alle haben müssen. Diese Differenz zwischen uns bleibt klar und schroff bestehen.

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Dabei betone ich, was ich in meiner zweiten Rede vor der Versammlung sehr bestimmt ausgesprochen habe, dass ich das verantwortungsvolle Stastsbewusstsein keineswegs „einbläuen“ oder, um einen Ausdruck von O. Lorenz zu gebrauchen, obrigkeitlich einflössen will. Es soll Frucht und Ergebniss des Geschichtsunterrichts sein, aber nicht eines, dessen Erzielung man auf sich beruhen lässt, unbekümmert, ob es eintritt oder nicht, sondern eines, das mit elementarer Kraft unausbleiblich aus dem Unterricht hervorwächst. Der Herr Berichterstatter wird das wieder als tendenziös bezeichnen, aber die Schule hat eben einen erzieherischen Zweck in eminentem Sinne, der der Universität mangelt. Hierin, glaube ich, liegt eine weitere Differenz zwischen uns, über die wir schwerlich hinauskommen werden. Eine Inspiration durch äussere Einflüsse sollte man billigerweise in meiner Schrift und in meinen mündlichen Aeusserungen nicht finden; als „Rufer im Streit gegen die Socialdemokratie“ (vgl. Recension der Wiener Zeitung) bin ich lediglich deswegen aufgetreten, weil diese – nicht staatsbewusstlose, sondern bewusst staatsentäusserte Bewegung nach meiner Ueberzeugung sich nur auf dem Grunde eines gleichsam über sich selbst gesteigerten Staatsbewusstseins bekämpfen lässt. Die Möglichkeit davon ist meine freigewonnene wissenschaftliche Ueberzeugung, gestützt auf die Gutachten nicht weniger ost- und westpreussischer Historiker; die praktische Erfahrung ist jung, aber sie darf sich des entgegenkommenden und günstigen Interesses der Schüler rühmen und gewiss halten. Dass aber damit der Socialdemokratie in die Hände gearbeitet würde, wie mehrfach behauptet worden ist, erscheint mir sonderbar; denn ein allseitiges Interesse für den Staat, d. h. für die Einrichtungen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1893, Seite 329. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1893_09_329.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2023)