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Lucca und Ferrara der päpstlichen Habgier geopfert werden sollen[1].

Ein Jahr hatte ausgereicht, um im Papst die Ueberzeugung wurzeln zu lassen, dass seine Stellung zwischen beiden Grossmächten die unbequemste aller Lagen war. Er verzweifelte daran, dieselben durch seine Schaukelpolitik fürder unter einander im Zaum zu halten und verkündete es als seine Staatsweisheit, dass man in solchem Fall sich auf die Seite des Schwächeren stellen müsste[2]. Angesichts des Zustandes des Heeres in Neapel, des Aufstandes in Spanien, des ungesicherten Verhältnisses zu Deutschland, angesichts endlich des scheinbaren Vorsprungs, den Franz I. in England gewonnen hatte, war Leo 1520 nicht im Zweifel, dass der Kaiser der Schwächere wäre. Aber kaum ein so doctrinärer Gesichtspunkt, vielmehr die durch Thatsachen befestigte Ueberzeugung, dass die Franzosen ebenso unerträgliche Bundesgenossen wie zu fürchtende Feinde wären, nach Nitti’s Wort die „fortwährende Unverschämtheit“ der Franzosen[3] hat in ihm den Entschluss eines vollständigen Bruchs gereift. Seit 1516 hatte Italien vor auswärtigen Angriffen (abgesehen von den im Krieg um Urbino betheiligten Söldnern) Ruhe gehabt. Jetzt war es der Papst, der geflissentlich den allerdings auf die Dauer schwerlich zu vermeidenden Krieg zwischen Franz I. und Karl V. beschleunigt und nach Italien gezogen hat. Sein Ziel war ein vollkommener Umschwung auch der Italienischen Besitzverhältnisse, als des einzigen Mittels, die Abhängigkeit von Frankreich nicht mit einer gleichen seitens Spaniens zu vertauschen. Darum hat Leo seit October 1520[4]

  1. Nitti 348. Die Bedingungen sind jedoch fast dieselben, welche bis zu dem von ihm entdeckten Vertrag vom 22. Oct. 1519 als die eines päpstlich-Französischen Abkommens vom Spätjahr 1519 gegolten haben, Bergenroth calendar II, Nr. 267, S. 294. Vgl. De Leva, Storia docum. di Carlo V. tom. II, 12. Mir scheint es nicht ausgeschlossen, dass schon damals mit diesem Vorschlag gearbeitet worden ist, auf den man zurückkam, als der Papst sich hinsichtlich Ferraras nicht länger hinhalten lassen mochte.
  2. S. Nitti 301 f. 331.
  3. Nitti 329 f.; vgl. 340.
  4. Nitti 335. Die Frage, ob er, wie Giulio de’ Medici Guicciardini mitgetheilt (Storia d’Italia 399), im innersten Herzen davon geträumt, dereinst auch die Spanier den Franzosen nachschicken zu können, wird wohl
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1894, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1894_11_109.jpg&oldid=- (Version vom 25.6.2023)