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sagen, kirchenpolitische Seite der Sache klar würdigte und seit dem Juni seine Massnahmen darnach getroffen hatte, so wird es bis auf weiteres wohl bei der Anschauung sein Bewenden haben müssen, dass die kirchliche Frage, so wenig sie genannt wurde, mitspielte bei dem Bestreben enger Interessengemeinschaft mit dem Kaiser.

Wenn man mit Nitti und entgegen der durch Baumgarten vertretenen Anschauung der Meinung ist, dass dieser Mediceische Papst thatsächlich in seinen beiden letzten Jahren seine Kraft an die Stärkung eines in Italien ausschlaggebenden Kirchenstaats gesetzt hat, so ist sein Bemühen um Aufrechterhaltung des Ansehens des heiligen Stuhles dazu die natürliche Parallele. Wie Leo 1519 seine speciell Italienischen Interessen lieber im letzten Augenblick gefährdete, als dass er einer zu erwartenden Schmälerung der Autorität Roms durch die geistlichen Kurfürsten zusehen mochte, so hat er es, so weit wir zu urtheilen vermögen, auch jetzt nicht ausser Betracht gelassen, dem Spruch der Kirche durch seine Verbindung mit dem Kaiser die Ausführung zu sichern. Spät genug hat er auch so Einsicht und Kraft für diese doch nächste Aufgabe eingesetzt. Ein Beweis mehr für den ausgesprochen Italienischen Charakter dieses Papstes, der ja, wie hervorgehoben, auch bei seinen Gleichgewichtsbestrebungen von rein Italienischen Gesichtspunkten nur schwer zu den umfassenderen, durch Wolsey vertretenen, sich hat hinüberführen lassen. Dass die Schwankungen in Worms in der Behandlung der Luther’schen Angelegenheit durch die kaiserlichen Staatsmänner, die Phasen der politischen Verhandlung zwischen Kaiser und Papst widerspiegelten, wie Ranke annahm, hat schon Baumgarten bestritten. Zur Lösung einer Schwierigkeit, der ziemlich offenen Drohung Chièvres’ gegenüber Aleander, gewährt Nitti einen erwünschten Fingerzeig durch den Hinweis, dass Chièvres in Unkenntniss geblieben zu sein scheine über die bezüglichen Verhandlungen[1]. Ist das richtig, so ist es ein sehr ergötzlicher Gedanke sich zu vergegenwärtigen, wie die beiden Uneingeweihten, Chièvres und Aleander, lauernd um einander herumgegangen sind, beflissen, einander Geheimnisse abzulauschen.

  1. S. 403, Note 1. Für das Vorangehende s. Ranke, Päpste I, 56; Baumgarten, Karl V. Bd. I., 437.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1894, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1894_11_112.jpg&oldid=- (Version vom 25.6.2023)