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Massnahmen schwächten die Classengegensätze in hohem Grade ab: sie erlaubten, wie Holm a. a. O. ganz treffend sagt, den Athenern insgesammt als Gentlemen zu leben, ähnlich wie es lange Zeit die Spartaner thun konnten.

Genauer möchten wir aber auf die Anklage eingehen, dass Perikles den Peloponnesischen Krieg aus rein selbstsüchtigen Beweggründen entzündet habe, weil er der gegen ihn emporwachsenden Opposition auf andere Weise nicht habe Herr werden können.

Fragt man zunächst nach den Quellenbelegen für diese Behauptung, so ist es ja wahr, dass die beiden Stellen bei Aristophanes (Acharner 515 ff. und Frieden 609) besagen: nicht die Bürgerschaft war am Kriege schuld, sondern schlechte und unlautere Männchen (ἀνδράρια μοχθηρὰ κaὶ παρακεκομμένα); darunter sind die Jünglinge verstanden, welche hüben wie drüben Mädchen raubten: der Olympier Perikles blitzte dann und donnerte und rührte ganz Hellas durcheinander; ehe er selbst etwas Böses erleiden sollte, setzte er die Stadt in Brand (πρὶν παθεῖν τι δεινὸν αὐτός, ἐξέφλεξε τὴν πόλιν[WS 1]), und zwar vermöge des Megarischen Beschlusses. Ebenso erklärt Andokides a. a. O., wegen Megaras sei der Krieg ausgebrochen – διὰ Μεγαρέας πολεμήσαντες – und Ephoros-Diodor führt den Krieg auf Perikles’ Erwägung zurück, dass das Volk ihn dann nothwendig brauchen und auf seine Gegner nicht hören werde. Aber was wollen diese Stellen schliesslich besagen? Aristophanes will beim Volk für den Frieden wirken: da darf er erstens das Volk nicht vor den Kopf stossen; er darf ihm nicht etwa sagen: tua maxima culpa[1], er braucht vielmehr einen Sündenbock. Zweitens muss er die Sache so darstellen, als ob der Krieg eigentlich aus leichtfertigen, unerheblichen Gründen begonnen worden sei und ohne Mühe beigelegt werden könne. So kommt es, dass die Aufrechterhaltung des Megarischen Beschlusses als Kriegsursache hingestellt wird, wofür auch die Erklärung der Spartaner (bei Thukydides I, 139) zu sprechen schien: „Wenn dieser Beschluss aufgehoben werde, so werde wohl – man beachte dies „wohl“! – kein Krieg entstehen“. Andokides nimmt diesen allgemein üblich gewordenen Satz dann einfach an: „Ihr habt wegen Megaras Krieg geführt“. Das passt ihm sehr gut in den Kram, weil er a. a. O. ja zeigen will, wie viele Wohlthaten des Friedens Athen aus geringfügigen Gründen verscherzt habe, und wie sehr die Rückkehr in friedliche Bahnen ihm nützen werde. Was endlich Ephoros-Diodor anbetrifft, so ist er einfach das Echo der Früheren und kommt als selbständiger Zeuge nicht in Betracht.

  1. Wie dies Nissen (Hist. Zeitschr. 63, 418) mit Recht betont: „die ganze Bürgerschaft theilte die Verantwortlichkeit“.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: πρὶν αὐτὸς παθεῖν τι δεινόν
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1894, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1894_11_146.jpg&oldid=- (Version vom 8.5.2023)