Seite:De DZfG 1894 11 270.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

30 Tafeln thut, ist hier nichts gethan; viel grösseren Gewinn ergibt eine eingehende, gleichsam innerliche Erwägung und Prüfung der einen oder der anderen besonders individuell gefärbten Aussage für das Verständniss des ganzen so unendlich complicirten und schwierigen Vorgangs.

Sehr häufig statten die verhörten Templer die Schilderung ihrer unter den anstössigen Bräuchen geschehenen Aufnahme mit ganz speciellen Zügen aus, die den Stempel des Erlebtseins an sich tragen. Sollen auch diese erfunden, auf der Folter erdacht sein, um ein fälschlich abgelegtes Geständniss glaubwürdiger zu machen, dem Inquirenten gegenüber mit grösserer Wahrscheinlichkeit auszustatten? Das wäre doch wahrlich eine ebenso absonderliche, wie überflüssige Sorgfalt! Häufig geben die sich schuldig Bekennenden an, dass sie, in ihrem Gewissen beunruhigt, das Erlebte Geistlichen in der Beichte anvertraut haben, nennen Zeit und Ort, Namen und damalige und spätere Stellung des Beichtigers: soll auch das von ihnen erfunden, ja einem ohne jede Schuld abgelegten Schuldbekenntniss hinzugelogen sein? Nur bei gänzlicher Verkennung der menschlichen Natur wird man das behaupten! Gewährsmänner für seine Schuld, die im Nothfall befragt werden können, und seine Schuld belegende Umstände, die sich doch zuweilen leicht constatiren lassen, anzuführen, wird einem in Wahrheit Schuldlosen niemals einfallen! Hier liegt eine psychologische Unmöglichkeit vor. Oder möchte wirklich jemand behaupten, dass z. B. die Angaben des Hugo von Peraud[1], er habe die ihm bei seiner Aufnahme gestellten und von ihm erfüllten Zumuthungen zur Zeit der Krönung Papst Clemens V. in Lyon dem päpstlichen Pönitentiar, dem Minoriten Johann von Dijon gebeichtet, von ihm erfunden seien, bloss um sein wider besseres Wissen abgelegtes Geständniss von den anstössigen Aufnahmeceremonien u. s. w. glaubhaft zu machen? Das anzunehmen ist ebenso unzulässig gegenüber der Aussage des Robert le Brioys[2], welcher von der ihm durch die Aufnahmeceremonien bereiteten schmerzlichen Enttäuschung in S. Germain des Prés bei Paris ebenfalls einem Minoriten, Johann, dem Beichtvater des Erzbischofs von Bourges, Simon (seit 1281, Cardinalbischof

  1. Michelet I, 401.
  2. Ebend. S. 449.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1894, Seite 270. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1894_11_270.jpg&oldid=- (Version vom 13.5.2023)