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Die Verträge der Päpste mit den Karolingern und das neue Kaiserthum.
Von
Wilhelm Sickel.
(Schluss.)

VII. Das Kaiserthum.

Die Lehrer der Christenheit hatten alle Probleme des Menschenlebens gelöst. Auch die Geschichte der Völker lag offen vor ihren Augen. Da die neue Religion sich innerhalb des Römischen Reiches entwickelt hatte und ohne dieses Reich eine Einheit der Kirche nicht entstanden wäre, so hatten sie gefolgert, dass jenes ursprünglich unpolitische Gemeinwesen des Glaubens und dieser ursprünglich polytheistische Weltstaat bis an das Ende der Dinge verbündet bleiben würden[1]. So ward das Dasein der Christenheit mit dem Dasein eines einzelnen Staates verbunden: es gab eine letzte Religion und ein letztes Reich, eine Kirche, welche alle Menschen in sich aufnehmen, und einen Staat, welcher sie alle beherrschen sollte. Die Vereinigung mit der Kirche hatte das Reich der Römer zu einer ewigen christlichen Ordnung gemacht, der Imperator hatte aufgehört der Träger der Majestät des Volkes zu sein: eine Gottheit hat ihn eingesetzt, um nach ihrem Weltplan zu walten.

Diese Anschauungen hatte die Kirche bewahrt[2], und durch sie waren sie die persönliche Ueberzeugung Karl’s des Grossen

  1. Vgl. Holtzmann, Das Neue Testament und der Römische Staat 1892 S. 38 f.
  2. Diese nachdiocletianische Anschauung auch im Liber diurnus 60 f. S. 54. 56. Vgl. Mém. de l’Acad. des Inscr. et Belles-Lettres XXXII, 1 S. 80 f.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1895, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1895_12_001.jpg&oldid=- (Version vom 15.5.2023)