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niemals König der Franken gewesen war, gab eine Bezeichnung auf, die Vergangenheit und Gegenwart zugleich enthielt, und führte nur den kaiserlichen Namen. Auch Karl regierte in dem neuen Jahrhundert lediglich als Kaiser. Indem er seine königliche Gewalt durch die kaiserliche ersetzt dachte, entwickelte er die Bedeutung dieser Veränderung für seine Unterthanen gemäss seinen abendländischen Kaiserideen. Er liess sie einen „kaiserlichen“ Eid schwören[1]. Er forderte den Glauben, dass er ein von Gott eingesetzter und erleuchteter Herrscher sei, welcher nach Gottes Ordnung regiere[2]. Wie er selbst sich für verpflichtet erklärte, die heiligen Satzungen zu befolgen[3], so verlangte er von seinen Unterthanen, dass sie ihre staatsrechtlichen Pflichten als Pflichten gegen den Gott der Christen erfüllten[4]; und ihre erste Unterthanenpflicht war, gute Christen zu sein[5]. So stellte der erste Kaiser die Unterthänigkeit auf eine neue, seiner christlichen Theokratie entsprechende Grundlage: er gebot alte Pflichten mit neuer Begründung und erweiterte den Inhalt der Unterthänigkeit in Augustinischer Richtung, ohne zu bemerken, dass er damit eher den Zwecken der Kirche als denen des Staates diene. Denn die Gewalt über den Glauben hatte allein die Kirche und so mochte eine auf äussere Herrschaft angelegte Kirche stärkere Macht über die allzu gläubigen Unterthanen gewinnen, als dieses neue heilige Römische Reich.

Karl’s Absicht war nicht auf eine neue Verfassung, ein unbeschränktes

  1. Dieses Actenstück, Capitularia I, 92 f., beweist auch die Beendigung des Königreichs. Dafür auch z. B. Ermoldus Nigellus II, 68 (Dümmler, Poetae II, 26), vgl. das Urtheil Sergius II. 844, Karl habe das Reich der Franken und der Römer zu Einem Körper verbunden, Migne 106, 915.
  2. So Alcuin an Karl 802, Epist. 191, Jaffé VI, 671 f.
  3. Thegan c. 6 SS. II, 591. Chron. Moiss. 813 SS. I, 311.
  4. Diese von Karl übernommene Staatslehre z. B. auch bei Vegetius, Epitoma rei militaris II, 5. Den Kaiser, so schreibt ein Papst 496, velut vicarium deus praesidere iussit in terris, Bullar. Roman., Taur. ed. I, 128.
  5. Die Wendung Karolingischer Documente, dass fideles Gottes oder der Kirche auch fideles des Herrschers sind, steht mit dem Imperium in keinem Zusammenhang. Sie beginnt in Urkunden des Königs Pippin und ist erst seit Ludwig I. gebräuchlicher geworden. Wie diese stilistische Vereinigung der Gläubigen und der Unterthanen der vorkaiserlichen Zeit entstammt, so ist sie auch später nicht Ausdruck der Kaisergewalt geworden. Sie findet sich 755, 770, 791, 799, 800, Mühlbacher Nr. 76. 122. 306. 340. 348, vgl. Th. Sickel, Acta Carolinorum I, 173.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1895, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1895_12_008.jpg&oldid=- (Version vom 19.5.2023)