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unterwarf, während sie den übrigen Prinzen geringere Herrschaften gab. Richtiger als dieser conflictreiche Ausgleich zwischen Kaiserrecht und Königsrecht wäre es gewesen, nur Einen zum Herrn im ganzen Staate zu machen. Jene Reorganisation des Karolingischen Imperiums ist nach 25 unglücklichen Jahren dem älteren Recht erlegen; die wieder schrankenlose Untheilbarkeit liess aus einem grossen Reiche mehrere Königreiche gleichberechtigter Herrscher hervorgehen, und einer dieser Herrscher, der nichts sein Eigen nannte als ein einzelnes Land, mit dem er weder eine Obergewalt zu begründen noch die christlichen Staaten Westeuropas zu leiten vermochte, hiess Kaiser und regierte das Römische Reich. Karl der Kahle, der unkaiserliche Kaiser, tröstete sich mit dem Befehl, ihn Imperator und Augustus aller Könige des Westens – der Fränkischen und der Ausserfränkischen – zu nennen[1], der Papst hiess ihn das Haupt und den Herrn des ganzen Erdkreises[2] und schrieb einem der Könige, wer von ihnen Römischer Kaiser werde, dem seien alle Königreiche unterthänig[3]. Johannes VIII. konnte den weltlichen Werth des Kaiserthums ausschliesslich in die äussere Herrschaft setzen, weil der nach innen gewandte imperatorische Gedanke des ersten Kaisers nicht lebensfähig gewesen war. In Verfassung und Verwaltung begründete es bald nach Karl’s Tode keinen Unterschied mehr, ob der Herrscher Kaiser oder König war[4]: das neue Staatsrecht war misslungen. Eine Verbindung der Staaten des Occidents hatte Karl nicht versucht,

  1. Annal. Fuldenses 876 S. 86 Kurze: Augustum omnium regum cis mare. Dieses Meer ist das Jonische Meer, die Grenze zwischen dem Orientalischen und dem Occidentalischen Imperium, siehe z. B. Constantinus Porphyrogenitus, De thematibus II, 9 S. 57 ed. Bonn. Richtig Waitz V², 91 Anm. 3, unrichtig Waitz III², 201 Anm. 2.
  2. 877 an Karl d. K., 878 an den Grafen von Spoleto, Migne 126, 731. 753. Vgl. Favre, Eudes 1893 S. 111–116.
  3. An Ludwig III. 20. Mai 879, Migne 126, 853. Diese „Weltherrscher“, denen doch als Kaisern kein Staat unterworfen war, haben Vorläufer im Sprachgebrauch der Zeit Karl’s d. Gr. Schon Karl wurde der Herr Europas, das Haupt Europas oder der Erde genannt, z. B. 799 caput orbis Angilbert, Carm. VI, 92, Dümmler, Poetae I, 368. Andere Belege bei Waitz III, 201.
  4. Wie völlig das innere Kaiserthum erloschen war, zeigt der Eid, den sich Karl d. K. 876 von den Westfranken als Kaiser schwören liess (Capit. II, 348 vgl. S. 99) und Hincmars verständnisslose Kritik, Opera 11, 835.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br. und Leipzig: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1896, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1895_12_010.jpg&oldid=- (Version vom 19.5.2023)