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Das Rechtsverhältniss zwischen den Römern und Karl war durch das Imperium begrifflich verändert, aber inhaltlich ist es unverändert geblieben. Die Römer hatten nicht den Zwecken des Patricius gedient, sie haben auch nicht dem Kaiser gedient: sie waren weder seine Soldaten noch seine Steuerzahler. Ihnen gegenüber war das Imperium wie der Patriciat eine pflichtmässige, für das Volk des heiligen Petrus bestimmte Herrschaft. So haben die Römer, die Päpste und die Kaiser gedacht. Je nach der thatsächlichen Lage schwankte die Ausübung; es konnten Jahre vergehen, ohne dass der Imperator zum Handeln Anlass fand, oder er machte auch etwa von seiner kaiserlichen Gewalt aus Reverenz vor den seligen Aposteln[1] keinen vollen Gebrauch, aber der Gedanke seiner helfenden höchsten Herrschaft ist auf keiner Seite völlig verloren. Diese Herrschaft richtete sich in erster Linie auf ein Gut, welches jener Zeit heilig war: der Kaiser sollte der Hüter der Gerechtigkeit sein.

Nach den damaligen Anschauungen – sie waren auch die Ueberzeugungen der Karolinger – gab es weder Menschen, die nicht Unrecht thun konnten, noch ein Recht, das vor der Macht eines Sterblichen seine Kraft verlor. Das galt auch für den Papst[2]. Auch er war an das Recht gebunden, weder das Civilrecht noch das Strafrecht war ihm preisgegeben. Der Kaiser durfte ihn verurtheilen und zwingen, unrechtmässig erworbenes Gut an den Berechtigten zurlickzugeben[3], und er durfte ihn zur Verantwortung ziehen, wenn er Menschen ohne Recht tödten liess[4].

  1. So ist De imperatoria potestate SS. III, 721 Ludwig’s II. Verhalten erklärt. Ebenso motivirte Fredegar cont. c. 36 die Intervention.
  2. Ausdrücklich anerkannt von Leo IV. gegenüber Ludwig II. um 858, Migne 115, 674, vielleicht in Zusammenhang mit der Ordnung von 824; vgl. deren c. 4. Vgl. Lothar’s Diplom 840 Regesto di Farfa II, 298 S. 234.
  3. Vgl. Capitularia I, 323, 6. Kaiserliche Bevollmächtigte verurtheilten den Papst 829, der Reichsabtei Farfa Land herauszugeben; der Papst legte Berufung an den Kaiser selbst ein, um ein gerechteres Urtheil zu erhalten, die Zuständigkeit gab er demnach zu, Regesto di Farfa II, 285 S. 221 ff. Bei der Anrufung des kaiserlichen Schutzes seitens Johannes’ von Ravenna 862 (Vita Nicolai c. 23 f. und De imperatoria potestate SS. III, 721) reichen die überlieferten Thatsachen schwerlich für eine Beurtheilung aus, Dümmler II, 54 f. Für uns ist Lothar (s. o. Anm. 2, Regesto S. 233) ohne Bedeutung.
  4. Der Papst rechtfertigte sich 815 und 823, die Belege oben S. 327 Anm. 1. Vgl. aus der älteren Zeit Vita Hadriani c. 5 und ferner über
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br. und Leipzig: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1896, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1895_12_031.jpg&oldid=- (Version vom 22.5.2023)